Uli lässt die Weiber tanzen
Mit den „Vorstadtweibern“ hat er dem ORF einen absoluten Hit beschert. Hier spricht Uli Brée über Sex und Macht, Hype und Häme und das besondere Potenzial des österreichischen Humors
„Bei allem im Leben geht es um Sex. Außer beim Sex. Da geht es um Macht.“ Wenn Uli Brée, mit der wichtigste Drehbuchautor des österreichischen Fernsehens darüber spricht, wie er beim Schreiben immer die Hierarchie der Figuren im Auge behält – wer ist der Chef, wer hat die Macht? –, dann kommt einem dieser Satz aus der ersten Staffel einer erfolgreichen US-Serie in den Sinn.
Was ist Ihre Lieblingsserie? „House of Cards“ finde ich ...
Ha! Haben Sie sich das schon gedacht?
Sie hören aber schon öfter, dass Sie Kevin Spacey sehr ähnlich sehen? Wow, was für ein Kompliment! Aber er trägt ein Toupet!
Vollbart hin oder her, die Ähnlichkeit ist verblüffend. Uli Brée, in Nordrhein-Westfalen geboren, aber nach eigener Bezeichnung sozusagen reinkarnierte österreichische Seele, ist in diesem Jahrhundert dafür zuständig, im ORF die Frauen nach seiner Pfeife – bzw. seiner Feder – tanzen zu lassen. Neben dem Schwung, den seine mit Rupert Henning nach einer Idee von Wolf Haas verfasste Serie „Vier Frauen und ein Todesfall“ genommen hat, schlagen nun seine „Vorstadtweiber“ voll ein. Gleich die ersten Folgen hatten über 800.000 Zuseher, die Presse ist polarisiert und bemängelt hier karikaturenhafte Figurenzeichnung, während sie dort ein Gift lobt, das viel fieser sprüht als bei dem Vorbild, das ORF-Programmdirektorin Kathi Zechner gewiss hatte: „Desperate Housewives“, erfolgreiche US-Serie der Jahre 2004–2012.
Ja, eines ist klar, wenn Uli Brée heute im ORF die Weiber tanzen lässt, dann ist es wiederum eine Frau, der er all das verdankt. Zechner war es, die den ausgebildeten Schauspieler und eingefleischten Motorradfreak seit Ende der Neunziger, als er mit Rupert Henning das Drehbuch zu Peter Wecks „Geliebte Gegner“ schrieb, konsequent förderte und aufbaute. „Die Kathi hat mir nichts vorgegeben, nur ,Vorstadtweiber‘. Die Serie könnte aber auch heißen: ,Der Sumpf‘ oder ,Wien echt‘. Oder ,Wiener‘. Sie könnte auch einfach „Wiener“ heißen!“ Das ist doch ein guter Anfang für ein Gespräch im Brenner in Münchens schicker Innenstadt.
Waren Sie öfters in einem Lokal wie diesem, um für die „Vorstadtweiber“ zu recherchieren? Ich hätte sollen! München ist schon eine eigene Welt. Ich war jetzt drei Wochen in Indien, dann daheim in Tirol. Wenn du dann hierherkommst, sind alle fesch und schick. Was ich bei den „Vorstadtweibern“ so interessant finde, ist, dass jetzt überall steht, dass es eine Satire ist. Meine Augen haben diese Welt nicht gemacht, ich schaue nur zu! Klar, sie nennen es Satire, weil es überhöht ist. Aber ich habe eigentlich versucht, Figuren zu erzählen, die mich überraschen und emotional nachvollziehbar sind, aber oft nicht logisch.
Was heißt das? Ich kenne das aus meinen Lebenssituationen. Ich mache oft Dinge, die von außen betrachtet Schwachsinn sind. Ich tue sie aber trotzdem, weil ich dummerweise nicht außen bin, sondern in der Situation emotional verhaftet und habe unvernünftige, unlogische Entscheidungen getroffen. Ich sehe das an amerikanischen Serien, die sich einfach nix scheißen und mal eine Hauptfigur umbringen. In dem Moment, wo du als Zuschauer sicher bist, dass es jetzt so ist, drehe ich es wieder um. Da ist mir egal, ob das logisch ist. Es ist spannend! Ich kann auch eine Serie schreiben, die ist wie das Leben, aber das ist ja urlangweilig. Vielleicht gibt es Abgründe, aber da dürfen wir normalerweise nicht dahinter schauen.
Sie sind Serienjunkie? Wenn ich den ganzen Tag schreibe, fällt es mir schwer, am Abend noch etwas zu lesen, das ich nicht selbst geschrieben habe. Aber ich kann mir zwei-drei Folgen einer Serie anschauen und ihre Struktur studieren. Die brechen ganz mutig ständig Figuren. Indem ich den Figuren Geheimnisse, Kanten und Ecken gebe, bleiben sie spannend – indem ich ihnen Schmerzen gebe und jeden nicht nur Täter, sondern auch Opfer sein lasse. Maria versucht mit essbaren Dessous ihren Mann zurückzugewinnen. Er drückt sich davor, sie will Frust essen in der Küche und erwischt ihn beim Wichsen vorm Computer. Kann es eine größere Demütigung geben? Da stellt sich die Frage: Ist das jetzt Satire, oder tut es einfach nur weh? Und da bin ich mir sicher, dass das kein Einzelfall ist. Oder Waltraud: Sie kauft zu viel ein, verteilt die neuen Sachen auf die Waschmaschine und die Laden, damit ihr Mann es nicht merkt. Er kommt nach Hause und geht all die Stationen ab, weil er genau weiß, was läuft. Dann haben sie kurzen und harten Sex im Bad, und als sie ins Schlafzimmer kommt, findet sie alle Einkäufe fein säuberlich auf dem Bett ausgebreitet und die Kreditkarte zerschnitten. Dadurch wird dieser Sex zur reinen Machtdemonstration. Und was macht sie in ihrem Schmerz? Sie sucht Zuflucht bei einem 16-Jährigen. Das ist keine Komödie in dem Moment, sondern ein Schmerz, den viele kennen.
Die Vorgabe von ORF-Programmdirektorin Kathi Zechner lautete: „Vorstadtweiber“. Sie schrieben die Bücher, erst dann wurde gecastet. Ändert sich für die zweite Staffel etwas, weil Sie jetzt wissen, wer wen spielt? Oh ja! Die Schauspielerinnen haben viel gestaltet. Gerade Nina Proll hat ihrer Figur Farben eingebracht, die ich jetzt einarbeiten kann. Die Rolle der Maria (jetzt Gerti Drassl) war interessanterweise am schwersten zu besetzen, weil die vom braven Eheweibchen ausgehend die schönste Wandlung durchmacht.
Ändert sich während des Drehs noch einiges, gibt es Änderungswünsche der Damen? Nein, ich bin da sehr empfindlich. Ich hoffe, meine Dialoge sind gut genug, dass man nicht daran herumdoktern muss.
Haben Sie – anders als z.B. David Schalko bei „Braunschlag“ – die Option einer weiteren Staffel immer im Blick gehabt? Ja, ich habe bewusst etwas ohne Inhalt platziert, als Vorbau für die zweite Staffel, ohne zu dem Zeitpunkt zu wissen, wie ich es befüllen werde, wenn der Auftrag kommt. Inzwischen sind schon fünf weitere Bücher fertig.
Ihre ersten großen Erfolge waren die Kabarettprogramme „Männer-Schmerzen“ und „Frauen-Schmerzen“ in den Achtzigern. Auch in „Vier Frauen und ein Todesfall“ und jetzt „Vorstadtweiber“ gibt der Titel ein Geschlecht vor. Was bedeutet das für Sie als Autor? Dass ich die Frauen in ihren Befindlichkeiten ernster nehme. Ich finde, die Männer in ihrem Auto-Wahn werden viel mehr parodiert. Wenn man schon von Klischee redet, dann bei denen. Aber auch ein Klischee existiert ja nicht ohne wahre Begebenheiten. Die heftigsten Sexszenen hat übrigens eine Frau inszeniert!
Haben Sie damit gerechnet, dass die Serie derart einschlägt? Nein! Der Hype ist ja der Hammer! Dass heute noch etwas so polarisieren kann, ist auch faszinierend. Es ist typisch österreichisch, wie anonyme Poster die Serie verrissen haben, bevor sie sie gesehen haben. Jetzt, wenn du gerade im intellektuellen „Standard“ schaust, schreiben die Kommentatoren plötzlich positiv, obwohl ich sie sonst nur negativ erlebe.
Was ist besonders herausfordernd an einer guten österreichischen Serie? Da hat sich der ORF ja lange geplagt. Ja, aber jetzt trauen sie sich was! Früher haben sie versucht, sich am deutschen Fernsehen anzubiedern. Inzwischen sind sie viel mutiger, weil sie ihr eigenes Potenzial erkannt haben: schwarzen Humor, näher am Leben sein und an den Abgründen der Figuren und sich nix scheißen. Das deutsche Fernsehen hat sich bei uns eingekauft, im April läuft „Vorstadtweiber“ in Deutschland. Da bin ich gespannt, weil da das Publikum ja noch viel konservativer ist. Die deutschen mögen gerne heile Welten: „Ich erbe eine Schottergrube“ oder „Ich verliere alles und muss mein Leben wieder in den Griff kriegen“. Also jeder, der über den ORF schimpft, hat noch nie für die Deutschen gearbeitet.
Und das von einem Deutschen! Ich glaube, ich bin nur zufällig in Deutschland geboren und aus Bestimmung nach Österreich gegangen. Das ist mehr mein Schmäh, da fühle ich mich viel mehr zu Hause. Ich war einmal für den Deutschen Comedy-Preis bei RTL nominiert und habe mich echt fremdgeschämt. Der Unterschied ist ja: In Deutschland geht ein Kabarettist auf die Bühne und sagt: „Der Kanzler ist ein Arschloch“. Bei uns geht ein Arschloch auf die Bühne und sagt: „Der Kanzler ist super“.
Apropos: Ist das Zufall, dass Bernhard Schir mich in dieser Rolle an Bundeskanzler Faymann erinnert? Ja! Ist keine Intention von mir. Auch dass in „News“ eine Psychologin die Vorstadtweiber analysiert, war nicht etwas, worauf ich je gekommen wäre.
Aber lustig! Wie sind Sie denn nach Österreich gekommen? Getrampt. Mit einem Freund zusammen. Ich wusste, wenn ich zu Hause bleibe, versauere ich da. Also habe ich mich an die Straße gestellt und bin nach Wien getrampt. Dann bin ich auf die Schauspielschule Krauss gegangen und hängengeblieben. Habe dann als Schauspieler alle möglichen Jobs gemacht (unter anderem kellnern) und mit einem Freund zusammen, um kreativ zu sein, „Männer-Schmerzen“ geschrieben. Das war sieben Jahre lang ausverkauft, also konnte ich bald aufhören und habe für andere und für mich Comedy geschrieben. Dann kam ein Film für Peter Weck mit Rupert Henning zusammen. Danach hat der ORF uns aufgebaut: Es gab eine Sitzung, in der acht Stoffe auf dem Tisch lagen, und wir sind mit acht Buchaufträgen herausgekommen. Als dann der Peter-Weck-Film erschien, fragten alle anderen Sender bei uns an, aber wir hatten keine Zeit mehr.
Ist das Schreiben von Drehbüchern jetzt Ihre Bestimmung? Wenn ich Zeit habe, möchte ich gerne einen Roman schreiben, aber nur, wenn ich wirklich etwas zu erzählen habe. Sicher keinen Krimi! Davon gibt es genug. Ich schreibe ja auch „Tatort“. Das fasziniert mich aber als Plattform, um über gesellschaftlich relevante Themen zu erzählen. Jetzt zum Beispiel schreibe ich einen über Casting-Shows. Der Krimi ist Nebensache.
Der Cliffhanger ist das Suchtmittel jeder Serie. Braucht es den? Oh ja. Ich merke es ja, wie Leute reagieren: „Hach, jetzt isses schon wieder aus, ich will doch wissen, wie es weitergeht.“ Es gab auch jahrelang Diskussionen: episodische oder horizontale Erzählweise? Ich bin ein Verfechter der horizontalen Entwicklung. Falllösungen interessieren mich nicht, ich will Figuren begleiten.
Sie produzieren auch Motorradfilme, schreiben Musicals und Kinderbücher und haben eine Teddybärenwelt für ein Museum entwickelt. Sehen Sie jeden Auftrag als Herausforderung? Im Gegenteil, ich bin total heikel. Zum Glück kann ich es mir aussuchen, und wenn ich einen Film mit Freunden bearbeiten darf, dann mache ich den lieber als etwas mit Fremden.
Wie viele Staffeln „Vorstadtweiber“ wird es geben? Im Moment wird alles dichter. Ich habe weniger das Gefühl: Hilfe, was soll ich erzählen?, als dass ich mich frage, wo ich alles unterbringen soll. Der ORF spricht schon von der dritten Staffel, aber bei den „Vier Frauen“ sind wir jetzt schon bei der siebten. Was ich unbedingt machen möchte, ist ein Spin-off mit der Figur des jungen Puttschädels, den Thomas Mraz spielt. Warten wir mal ab, wie die Figur ankommt.
Also doch wieder Krimi? Ja, aber: the next Kottan! Das Potenzial hätte die Figur.
Wie ist Ihr Verhältnis zu David Schalko, dem anderen großen ORF-Schreiber dieser Tage? Sehr gut, ich ehre und schätze ihn! Er tickt anders als ich, arbeitet anders als ich. Aber ich glaube, seiner Arbeit verdanken wir mit, dass wir uns jetzt mehr trauen dürfen. Er hat den Weg für unkonventionelles geebnet.
Was hat sich in der Welt der Serien noch geändert? Nehmen wir „Dexter“: Ein Serienmörder ist die Identifikationsfigur einer Serie. Wenn ich das vor zehn Jahren vorgeschlagen hätte, hätte ich mich gar nicht hinsetzen müssen. Oder „Boardwalk Empire“: Da haben Sie am Ende der zweiten Staffel eine der Hauptfiguren umgebracht. Was sich langsam ändert, ist dass die Autoren wahrgenommen werden. Bisher standen immer die Schauspieler im Vordergrund. Nach dem Streik der Autoren in den USA hat sich viel geändert. Die Erfinderin von „Grey’s Anatomy“ ist jetzt auch Produzentin und Hauptschreiberin. Bei uns ist das noch nicht angekommen. Und es wundert mich. Schreiber schreiben große Artikel über eine Serie, aber den Schreiber, der sie sich ausgedacht hat, erwähnen sie nicht.
Biografisches
Serienfreak: Wohnt wie der Bergdoktor
Aus Nordrhein-Westfalen, wo er 1964 geboren wurde, wollte er weg, also trampte er nach Wien, wo er Schauspieler, dann Comedy-Schreiber, dann „Tatort“- und Serienautor wurde. Sein Regiedebüt verhinderte 2014 ein trauriger Vorfall: Zwei Tage vor Drehbeginn zu einem Kammerspiel mit Joachim Fuchsberger kam dieser ins Krankenhaus und starb. Schon als Freundschaft kann das Projekt ohne ihn nicht stattfinden. Dafür steht demnächst ein Kinofilm mit André Heller an („Auch sehr geil.“). Uli Brée ist geschieden und wohnt mit seinen zwei Kindern in Tirol – passenderweise in dem Haus, in dem sein „Tatort“-Kommissar Harald Krassnitzer einst den „Bergdoktor“ drehte. Er ist eben ein wahrer Serienfreak.