Wie ein Gespenst
Der WIENER sprach mit dem Regisseur, der Kristen Stewart zu einer großen Schauspielerin machte. Aber auch Juliette Binoche hält Olivier Assayas ziemlich auf Trab.
Neulich tweetete Norman Shetler, der Geschäftsführer des Gartenbaukinos: „Wer hätte vor fünf Jahren gedacht, dass sich Robert Pattinson und Kristen Stewart als die vielversprechendsten Schauspieler ihrer Generation entpuppen würden?“ Er hatte sich wohl gerade David Cronenbergs „Maps to the Stars“ und Olivier Assayas’ „Clouds of Sils Maria“ angeschaut. Beide sind gewissermaßen Metafilme, die sich mit Menschen im Filmbusiness beschäftigen. Im ersteren überzeugt Pattinson, im letzteren haut einen Kristen Stewart schlichtweg um. Sie spielt die persönliche Assistentin einer allmählich alternden Schauspielerin (Juliette Binoche), deren einstige Paraderolle nun ein junger Teenie-Star wiederbeleben soll.
Den wiederum spielt Chloë Grace Moretz, die dabei aber nicht zufällig – und jetzt wird’s kompliziert –an die Biografie Kristen Stewarts erinnert, die nach „Twilight“ und katastrophalem Umgang mit dem Medienhype um ihre Person nun richtig gutes Zeug spielen will. Und das gelingt ihr so gut, wie auch ihr Regisseur Olivier Assayas es nicht vorhersehen konnte. Assayas freilich schrieb den intensiven und dramaturgisch völlig anarchischen Film in erster Linie für seine alte Freundin Juliette Binoche. Und auch die ist ziemlich zum Niederknien.
Olivier Assayasʼ nächstes Projekt „Idol’s Eye“ musste diesen Herbst aus finanziellen Gründen abgesagt werden. Davor noch schwärmte der Franzose mit österreichischen Wurzeln dem WIENER von seinen genialen „Sils Maria“-Schauspielerinnen vor. Er schwärmte aber auch davon, wie geschickt er sich ihres Rufs bedient.
Der Film gewinnt seinen Sog vor allem aus der seltsam persönlichen und doch professionellen Beziehung zwischen der Schauspielerin (Juliette Binoche) und ihrer Assistentin (Kristen Stewart). Konnten Sie ahnen, dass zwei so unterschiedliche Akteurinnen eine solche Chemie entwickeln? Man weiß das nie, man muss an die Stars glauben. Ich habe den Film um Juliette herum gebaut, dann fragte ich mich: Wer kann sie herausfordern? Ich wollte keine junge, ehrfürchtige Schauspielerin, sondern eine mit Profil, die selbst ein großer Weltstar ist und Juliette zwingen würde, sich neu zu erfinden.
Ich habe mir schon zu einem frühen Zeitpunkt Kristen Stewart vorgestellt, habe ihre Arbeit bewundert, fand sie unterfordert für ihr großes Potenzial. Als ich ihr das Drehbuch schickte, schätzte ich meine Chancen gleich null ein, dass sie so seltsame europäische Kunst interessieren könnte. Dass sie sofort Interesse zeigte, war ein gutes Omen. Kristen und Juliette hatten sich vor dem ersten Drehtag nie gesehen. Da drehten wir die lange Anfangsszene im Zug, die Dynamik war gleich da.
Wie sich herausstellte, war alles sehr einfach: Ich hatte zwar meinen Weltstar, aber erst recht einen, der Juliette dafür bewunderte, dass sie ihre Karriere nach eigenem Wunsch steuerte und sehr frei war in ihrem Schauspiel. Kristen fühlte sich hingezogen zu Juliettes Persönlichkeit, und Juliette fühlte sich geschmeichelt. Es war einerseits eine Herausforderung, Kristens Erwartungen zu erfüllen, andererseits ermutigte es sie auch, weiter zu gehen als bisher. Das habe ich ausgenutzt.
Stewart ist so gut, dass ich sie auch als Assistentin haben will! Würde die Geschichte auch zwischen zwei Männern funktionieren: einem Schauspieler und seinem PA? Das wäre eine völlig andere Geschichte. Ich glaube, diese Themen betreffen Männer nicht auf die gleiche Weise. Die Beziehung zur Kunst, zum Altern, zum Schauspiel ist extrem anders. Auch das Aufsaugen der Rolle ist ein anderer Prozess, Männer formulieren Gefühle anders.
Und doch muss ich fragen: Haben Sie selbst eine persönliche Assistenz? Oh, ich wünschte, ich hätte eine! So ein Sparring-Partner könnte manchmal ganz nützlich sein. Aber leider nein.
Wie Cronenbergs „Maps to the Stars“ und der Michael-Keaton-Film „Birdman“ beschäftigen auch Sie sich in Ihrem Film mit dem Berufs- und Privatleben von Filmschauspielern. Woher kommt dieses Interesse der Regisseure an diesem Stoff? Ich glaube, die Promikultur ist etwas, womit wir alle umzugehen lernen. Sie ist ein neuer Faktor in der Filmkultur, den wir bislang übersehen und als Teil einer Teenager-Subkultur abgetan haben. Aber sie kontaminiert die gesamte Medienwelt. Man kann nicht über das Filmemachen nachdenken, ohne sie in Betracht zu sehen, nicht unbedingt wertend, aber als Gegebenheit. Cronenberg hat nochmal einen anderen Zugang, weil er täglich mit Hollywood zu tun hat und einen gewissen Hass ausbildet.
Sie studieren in Ihrem Film Probenprozesse so genau, dass der Eindruck entsteht, Sie wären auch ein guter Theaterregisseur. Chloë Moretz hat mich gefragt, ob ich das Stück, um das es im Film geht, nicht ausarbeiten will, sie würde gerne mitspielen. Ich könnte mir vorstellen, Stücke zu schreiben, aber sie zu inszenieren würde mich nicht packen. Theater passiert und verschwindet wieder. Das entspricht nicht meinem künstlerischen Verständnis.
Was können Sie zu Ihrer Arbeit mit Juliette Binoche sagen? Das ist eine lange Geschichte. Ihr Durchbruch war auch mein erster größerer Film als Drehbuchautor: „Rendez-vous“ 1985. Wir waren die Grünschnäbel in diesem Film ‒ das verbindet. Erst 22 Jahre später habe ich dann einen Film mit ihr gemacht, aber es war ein Ensemblefilm, in dem sie nicht die Hauptrolle hatte, was sie genoss, aber auch frustrierend fand. Ein Film fehlte also, damit unsere Beziehung Sinn ergab, und das ist „Clouds of Sils Maria“.
Bei der Arbeit daran versuchte ich, ihr so viel Freiheit wie möglich zu geben, um einen Drahtseilakt zu bewältigen: sich selbst zu spielen und dabei Elemente dessen zu verwenden, wer sie sein könnte, um wiederum eine fiktive Figur darzustellen, die bisweilen grausam auf ihr wahres Ich zurückfällt. Ich war sehr dankbar für die Großzügigkeit, mit der sie sich voller Selbstvertrauen, Freude und Energie exponierte. Was Kristen hier erreicht hat, verdankt sie eigentlich Juliette, die in mehrerer Hinsicht führend war.
Der Film geht in alle Richtungen gleichzeitig, er funktioniert auf vielen verschiedenen Ebenen. Alles, wovon die Geschichte erzählt, also wie eine Schauspielerin versucht, mit dem Alter klarzukommen und zu einer Rolle Anschluss zu finden, von der sie sich eigentlich distanzieren möchte – all das arbeitet mit Juliette und mit jedem einzelnen Film, den Sie mit ihr gesehen haben, einschließlich von „Godzilla“. Und natürlich wird in der Rolle der Joanna, die Chloë spielt, auch Kristen Stewarts Einbindung in die Promikultur verhandelt. Ich benutze die Schauspielerinnen basierend darauf, was wir über sie wissen.
War den Damen bewusst, wie sehr Sie ihre Medienpersönlichkeiten benutzen? Na ja, es war schwer zu beschreiben. Im Drehbuch ist es nicht explizit verbalisiert, und wir haben nicht darüber gesprochen. Aber sie konnten es sich wahrscheinlich vorstellen.
Der Plot entwickelt sich völlig gegen jede bekannte Dramaturgie. Wie sehr haben Sie das Publikum im Blick, wenn Sie solche Kapriolen schlagen? Es geht darum, dem Publikum und seiner Intelligenz zu vertrauen. Zuschauer wollen oft gleichzeitig nicht überrascht werden – wie Kinder, die gerne dieselbe Geschichte wieder und wieder hören – und herausgefordert, aufgeregt werden. Wenn ich so etwas mache, wie eine Figur einfach verschwinden zu lassen, dann ist das ein Schock, gleichzeitig bleibt sie dadurch die Figur, an die man sich am Ende erinnert, und wie ein Gespenst spukt sie durch den Epilog.
FILMISCHES
CLOUDS OF SILS MARIA
Der seltsame Titel verweist auf eine Gebirgsgegend in der Schweiz. Eigentlich geht es aber um Schauspiel. Wie erarbeitet sich ein Bühnen- und Filmstar eine Rolle, die sie aus ihrer Jugend zwar gut kennt, aber nur als Gegenüber ihrer eigenen Durchbruchrolle? Sie braucht eine so loyale wie professionelle persönliche Assistentin, die ihr dabei erstaunlich nahe kommt. Seit 19. 12. im Kino.