Auftrag
Besprechung der Premiere „Hass-Triptychon – Wege aus der Krise“ in der Sendung „Fazit – Kultur vom Tage“
Auftraggeber
Deutschlandfunk Kultur
Projektinfo
Live am 24. Mai 2019, nach 23:05 Uhr auf Deutschlandfunk Kultur.
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© Judith Buss
Besprechung der Premiere „Hass-Triptychon – Wege aus der Krise“ in der Sendung „Fazit – Kultur vom Tage“
Deutschlandfunk Kultur
Live am 24. Mai 2019, nach 23:05 Uhr auf Deutschlandfunk Kultur.
© Anna Van Waeg
Aus unerfindlichen Gründen ist Marie-Pierre Brébant in meinem Artikel fast durchgehend fälschlich als Marie-Prierre Brénard ausgegeben. Wie peinlich! Ich entschuldige mich für diesen Fehler, der in der Printversion des Falter leider nicht mehr auszubessern ist.
François Chaignaud und Marie-Pierre Brébant verspäten sich zum Termin in der Brüsseler Innenstadt. Obwohl sie am Vortag ihre Performance „Symphonia Harmoniæ Cælestium Revelationum“ schon nachmittags zum Besten gaben, waren sie erschöpft, mussten ausschlafen. Eine Erscheinung sind die beiden sowohl auf der Bühne als auch privat, sie wohl deutlich älter als er – Geburtsdaten verraten sie nicht –, aber beide irgendwie alterslos. Die langen, blonden Haare, die auf der Bühne noch zu einer Pyramidenfrisur hochgewickelt waren, fallen nun frei herab. Bei beiden.
Unter der Kleidung lugen die Tattoos hervor, mit denen ihre Körper übersät sind. Diese sind aber nicht Exzentrik, sondern Kostüm. Es handelt sich um Schriftzüge und Illustrationen aus Manuskripten der Hildegard von Bingen. Die Performance der beiden Franzosen besteht darin, die Sammlung geistlicher Lieder, die die universalgelehrte Äbtissin im 12. Jahrhundert anlegte, zu singen, begleitet auf der „ukrainischen Lautenzither“, der Bandura. Dabei sind Chaignaud und Brébant bis auf eine Art Kettenunterhose nackt. „Wenn diese Musik sonst aufgeführt wird, dann meist von Menschen in Nonnengewand“, erklärt der Choreograf, Tänzer, Historiker und neuerdings Sänger François Chaignaud, der in Wien nun erstmals bei den Wiener Festwochen gastiert (bisher war er eher Impulstanz-Stammgast). „Dabei hatte Hildegard ein unverkrampftes Verhältnis zu Nacktheit, in ihren Schriften preist sie die Körper ihrer Ordensschwestern. Außerdem soll das Publikum an unserer Atmung die Anstrengung des Gesangs, die Schwere des Instruments erkennen.“
Mehr im Falter 20/21
© Edvard Paul Orell
Die Jahrtausendwende war im englischen Theater eine kranke Zeit. 1999 wetterte Sarah Kane in ihrer Selbstmord-Textfläche „4.48 Psychose“ gegen Psychopharmaka und bulgarischen Rotwein. 2000 räumte Joe Penhall mit ähnlichem Thema in Großbritannien die Theaterpreise ab. In Österreich fand sein psychiatriekritisches Drama „Blau/Orange“ erst jetzt den Weg auf die Bühne. Das mag an der deutschen Übersetzung von Wolf Christian Schröder liegen, die zahlreiche Anglizismen achtlos übernimmt und die Sprache papieren wirken lässt – für ein Drama aus der In-yer-face-Ära des Theaters fatal.
Die drei Schauspieler in Salzburg eignen sich den Text dennoch bemerkenswert natürlich an: Ron Iyamu als der Patient, der nach 28 Tagen auf der Psychiatrie entlassen werden will; Hendrik Winkler als sein behandelnder Arzt, der ihn lieber dabehielte; und Klaus Haberl als leitender Oberarzt, der seltsame Theorien über die Verbindung von Herkunft und Psyche spinnt.
Mehr im Falter 21/19
© Wichaya Artamat
Wenn Sprechtheater aus fernen Kulturen zu Festivals eingeladen wird, besteht oft ein gewisser Exotismusverdacht. Werde ich als Zuschauer nur von oben herab sehen: „Aha, so ist das also in Thailand“, oder wird mich der Inhalt auch direkt erreichen, gerade wenn ich auf Übertitel angewiesen bin? Zum Glück wird dieses Dilemma schon sehr früh in „This Song Father Used to Sing“ von Wichaya Artamat angesprochen. Der Bruder in dem Geschwisterpaar, das sich alle paar Jahre zum Totengedenken an den Vater in dessen Haus trifft, ist nämlich selbst Theatermacher. Im Dialog mit seiner Schwester ergibt sich ein lustiges Wortspiel auf Thai, sie schlägt ihm vor, es in sein nächstes Stück einzubauen. Der winkt ab: „Wie soll ich das denn bitte übertiteln?“ Die Titel bemühen sich indes redlich um Erklärungen in eckigen Klammern.
Es ist nicht nur diese Umsicht, die das Stück des daheim preisgekrönten, in Europa noch unbekannten Artamat liebenswert macht. Auch die kleinen Konflikte der Geschwister, ihr unausgesprochener Kampf zwischen Einsamkeit und Kontaktunwilligkeit, schaffen Identifikationspotenzial. Und so ist dieser hochgradig unaufgeregte Abend überraschend berührend. Der Bruder und die Schwester schweigen einander auch mal minutenlang an, dann sagen sie etwas Banales. Dann streiten sie, wenn auch nicht heftig, welchen Tee, welchen Reis oder welches Lied ihr Vater am liebsten mochte. Fad wird das nie, weil man den beiden Spielenden gerne zusieht und weil die große Eskalation zwar nicht kommt, sich aber auch gar nicht ankündigt.
Mehr im Falter 20/19