Nervenkitzel
Er schießt Selfies von seinen Bauchmuskeln, macht alle Stunts selbst und entpuppt sich als durch und durch freundlicher Zeitgenosse: Tom Cruise auf Mission in Wien und in den Worten von Simon Pegg, Rebecca Ferguson, Verena Altenberger und Marijana Stoistis
Wussten Sie, dass die Wiener Straßenbahnen rückwärts fahren können? Sie können! Verena Altenberger hat es gesehen, mehrmals. Es geschah am Ring, vor der Staatsoper, immer und immer wieder, um die „Background action!“ – wie jemand vor jedem Take brüllte – wieder auf Anfang zu bringen. Verena Altenberger erinnert sich deshalb so genau, weil sie in ihrer Szene beim ersten Mal den Fehler beging, auf „Background action!“ loszustarten. Da erkannte sie, dass sie doch neu ist im großen, hyperprofessionellen Hollywood-Blockbuster-Business. „Cut!“, rief Regisseur Christopher McQuarrie und erklärte ihr freundlich: „You are not background action. You are action.“
Es war Frühjahr 2014, als der Startschuss zum Dreh des fünften Teils der legendären Agentenfilmreihe „Mission: Impossible“ (ihrerseits eine Reminiszenz an die selbst legendäre TV-Serie „Kobra, übernehmen Sie“ aus den Sechzigern) unter großem Medieninteresse in und um die Wiener Staatsoper begann. Was genau Tom Cruise als Agent Ethan Hunt hier in der Oper zu schaffen hat – und ob es wirklich er ist oder nur eine dieser kultigen Gesichtsmasken trägt –, darüber drang nichts an die Öffentlichkeit. Die Macher und Pressevertreter Hollywoods sind bekanntlich selbst die größten Geheimagenten.
Verena Altenberger jedenfalls, gebürtige Salzburgerin, Schauspielabsolventin des Wiener Konservatoriums und nach Auftritten an Burg- und Volkstheater nun mit 27 zunehmend mit Kino- und Fernsehdrehs beschäftigt, war als eine von sechs Edelstatistinnen gecastet, die die Opernkarten der Hunderten von „normalen“ Statisten abreißen sollten. „Als Christopher McQuarrie unsere Maske und Kostüm absegnen sollte, kam er zu mir und sagte: ,You. You look so Austrian. Come with me.‘“
Später konkretisierte er: Da ihre Ausstrahlung so „warm and welcoming“ sei, sei sie die Richtige, um Fräulein Berger, die Assistentin des von Martin Bermoser dargestellten Staatsoperndirektors, zu spielen. Sie bekam zwei Sätze Text, die dann drei Nächte lang unermüdlich und penibel gedreht wurden. „Die Disziplin, die die hauptsächlich aus London stammenden Kollegen haben, spielt schon in einer eigenen Liga“, beobachtete Altenberger fasziniert. „Sie sitzen in gerader Haltung stundenlang da, lesen vielleicht mal ein Buch, und wenn es dann losgeht, agieren sie in der Sekunde professionell.“ Und: „Da ist halt noch das Geld da, um drei Nächte lang an einer kurzen Einleitungssequenz zu arbeiten.“
Wenn Regisseur McQuarrie (vor 20 Jahren Autor des famosen Drehbuchs zu „Die üblichen Verdächtigen“) über das Projekt spricht, klingt das freilich etwas anders: „Die größte Herausforderung? Immer die Zeit! Der Zeitplan ist jedes Mal viel zu eng gesetzt.“ Jammern also auf hohem Niveau. „Das Tolle ist, dass nichts unmöglich ist: Du stehst vor einem Modellflugzeug und fantasierst, Tom Cruise könnte außen auf dem Flügel mitfliegen, und jemand sagt: Klar, das können wir machen.“
Oder du suchst nach einem prunkvollen Opernhaus, und die Republik Österreich stellt dir ihres zur Verfügung, sperrt nächtelang den Ring und schleckt sich alle zehn Finger ab wegen der Publicity. „Tom hatte Wien schon in der Vergangenheit immer wieder als mögliche Location im Visier. Er ist öfters hingefahren, aber es hat dann nie geklappt. Diesmal suchten wir ein Opernhaus, und das war perfekt.“
Passenderweise wird auch die Weltpremiere von „Rogue Nation“ am 23. Juli in der Staatsoper stattfinden. Tom Cruise wird kommen. Ob Verena Altenberger auch kommt, ist unklar. „Paramount muss sich noch entscheiden, ob die österreichischen Schauspieler eingeladen werden.“ Freilich kann sie auch nicht sicher sein, ob sie überhaupt im Film vorkommt. Ein komisches Gefühl, in einem so großen Film gewesen zu sein und den Schnitt vielleicht nicht zu überleben? Verena ist entspannt. „Nein, ich habe die Arbeit ja gemacht. Und ich lasse das Projekt auf jeden Fall im Lebenslauf stehen.“
London, April 2015. Hier kommen ein paar Menschen zusammen, die „Mission: Impossible“ durchaus prominent in ihrem Lebenslauf stehen haben werden. Tom Cruise ist nicht dabei, aber ebenfalls eine lange M:I-Vergangenheit hat der Brite Simon Pegg, Protagonist und Autor der nerdigen Cornetto-Trilogie von „Shaun of the Dead“ bis „The World’s End“. Er begann in „Mission: Impossible 3“ als Computerfachmann Benji, der Ethan Hunt aus der Ferne durch Shanghai lotst. „Nach diesem Nervenkitzel muss Benji gedacht haben: Ich kann hier nicht mehr bleiben, ich muss in die Welt hinaus!“ In Teil 4 geht er Ethan tatsächlich zur Hand, bietet dabei aber immer noch vor allem komische Erleichterung. Jetzt, im fünften Teil, heißt es, steht das Verhältnis von Ethan und Benji im Mittelpunkt der Geschichte – der leichtfüßig-naive Pegg wird also immer wichtiger. Beweis: Es gibt eine Benji-Gesichtsmaske, ein Tool, das bislang nur Ethan und den Bösen vorbehalten war! Und Benji hat hier endlich auch seine dramatischen und actiongeladenen Szenen. „Wenn der Lustige plötzlich allen Ernstes in Lebensgefahr gerät, ist das eine besondere Herausforderung zu spielen.“
Bei einer Verfolgungsjagd im Auto durch Casablanca hingegen „war keinerlei Schauspiel erforderlich. Tom fährt wie ein Irrer, und ich schreie auf dem Beifahrersitz wie am Spieß. Genau so war’s.“ Denn Tom Cruise, das ist das berüchtigte Alleinstellungsmerkmal dieser Serie, macht all seine Stunts selbst. „Selbst in Einstellungen, in denen man nicht sieht, dass Tom fährt, fährt Tom“, versichert der Regisseur. „Es hätte auch keinen Sinn, einen Stuntfahrer zu bestellen, denn der wäre nicht so gut wie Tom Cruise.“
Der mysteriöse Tom Cruise. Er steht hier nicht für Interviews zur Verfügung, und doch ist er omnipräsent in den Aussagen der anderen: ihre Bewunderung für sein Engagement, seine Hingabe, seine Professionalität als Schauspieler und Produzent. Und seinen Humor. „Er wollte meine Bauchmuskeln sehen“, erzählt die schwedisch-britische Schauspielerin Rebecca Ferguson, die als Ilsa Faust, geheimnisvolle Gegen- (oder Mit-?) Spielerin der Impossible Missions Force erstmals in Erscheinung tritt. „Ich fotografierte also meinen Bauch, bearbeitete das Foto ein bisschen und hängte es ihm an die Trailerwand. Am nächsten Tag fand ich ein Foto von seinen Bauchmuskeln vor: kein Filter, keine Bearbeitung.“
„Mir hat er im Auto heimlich immer die Sitzheizung aufgedreht“, berichtet Simon Pegg. „Und ich dann ihm ‒ es war ein Spiel, und wir konnten nicht aufhören, darüber zu kichern. Während einer Verfolgungsjagd ist das ein bisschen kontraproduktiv.“ Weniger Lustiges, aber auch nicht ganz Unsympathisches weiß immerhin Verena Altenberger zu berichten: „Tom Cruise hat sich vorgestellt, ein paar höfliche Witze gerissen und war auch schon wieder weg.“ Und Simon Pegg kommt gar nicht aus dem Schwärmen heraus, wie normal Tom Cruise ihm immer vorkomme. „You’re just a guy!“, habe er immer wieder gedacht und den Kopf geschüttelt.
Und dieser einfache Bursch ist letzten Sommer also auf einem Flugzeugflügel gestanden und in die Luft gegangen ‒ die Trailer beweisen es. „Wie lief das mit der Versicherung ab?“, lautet die häufigste Frage, die Christopher McQuarrie dazu zu hören bekommt. Er nennt keine Details: „Tom und ich machen normalerweise einfach, bis jemand kommt und uns sagt, dass wir aufhören sollen!“ Aber er erzählt, was alles hätte schiefgehen können: „Im Auto ist alles unter Toms Kontrolle. Einmal hätte er sich fast überschlagen, aber das hat er im Griff. Auf dem Flugzeug war er einzig und allein vom Piloten abhängig. Wäre er über eine bestimmte Geschwindigkeit gegangen, wäre es aus gewesen. Dass er herunterfallen könnte, war aber unsere geringste Sorge. Die Hauptgefahr lag auf der Startbahn: In die Propeller gesogen wäre jedes kleine Schmutzteilchen zur Kugel geworden, jedes Sandkorn im Gesicht: eine Katastrophe!“
„Was er macht, ist hohe Action“, fasst Rebecca Ferguson es zusammen. Sie selbst und Tom Cruise hatten täglich sechs Stunden Körpertraining, wobei ihr zugute kam, dass sie früher argentinischen Tango unterrichtete. „Kampf ist oft wie Tanz“, sagt sie. Und was ist das Geheimnis von Karate in Stöckelschuhen mit hohen Absätzen? „Das Geheimnis“, zwinkert die 32-jährige, die gerade erst im Fernsehen Queen Elizabeth gespielt hat, „ist, die Schuhe auszuziehen!“
Zurück nach Wien. Hier zieht Verena Altenberger die Schuhe an, um zum nächsten Dreh zu fliegen: „Tatort: Hundstage“ in Dortmund. „Hundstage“ ‒ ebnfalls very Austrian, wie Christopher McQuarrie sagen könnte, und natürlich hofft Verena, auch mal mit Ulrich Seidl drehen zu dürfen. Tja, für sie, die quasi über Nacht gleichzeitig in Staatsoper und Hollywood auftreten durfte, lautet die selbst gesetzte Mission für die nächsten Jahre: österreichisches Kino. Um diese Mission zu vereiteln, wird Hollywood also sehr laut rufen müssen.