Falters vielfältige Top 10 im Theater im Jahr 2019, federführend zusammengestellt von Sara Schausberger unter meiner Mithilfe. Ja, es ist viel Ballett (absurderweise), viel Nacktheit, viel Performance, aber auch ganz „normale“ Inszenierungen. Die Top 10 des Jahres 2019 sind außerdem von Künstlerinnen geprägt: Unter 13 Regieführenden (ein Duo und ein dreiköpfiges Kollektiv sind dabei) sind zehn Frauen.
BÖSER BOGEN IN ROT – Kritik aus dem Werk X in der Wiener Zeitung
Helmut Köpping und Kurt Palm legen an dem Fernsehspiel die Messlatte der Gegenwart an.
In der ORF-Reihe „Arbeitersaga“ (Drehbücher: Peter Turrini, Rudi Palla) warfen vier Geschichten aus vier Jahrzehnten Blicke auf die Entwicklung der Sozialdemokratie. Im Werk X nehmen sich vier Theaterregisseure je einen der rund 30 Jahre alten Filme zur Grundlage und füttern sie mit aktuellen Bezügen. Dass das formale Konzept höchst unterschiedliche Ergebnisse erlaubt, zeigt schon der erste Abend mit der Hälfte der Folgen.
Den „April 1945“ macht Helmut Köpping mit einer Poesie der Dekonstruktion bühnentauglich. Einzelne Versuchsanordnungen nähern sich der Bewegung SPÖ: mal choreografisch, mal eine fast stumme Filmszene kopierend, mal assoziativ. Indessen bauen fünf fantastische Spieler in Rot wie Julia Schranz, Peter Pertusini und Thomas Kolle im Schweiße ihres Angesichts überdimensionale Buchstaben auf, betätigen sich also wahrhaftig als Arbeiter.
Leichter macht es sich Kurt Palm mit seinem zweiten Teil voll platter Witze – angefangen mit der Grundidee.
SOMMERHAUS FOR SALE – Nachtkritik aus dem Theater in der Josefstadt
Der Kirschgarten – Theater in der Josefstadt, Wien – Amélie Niermeyers behutsame Aktualisierung des Tschechow-Klassikers mit Star-Faktor
Wien, 5. Dezember 2019. Die meisten sind sicher seinetwegen gekommen: Otto Schenk! 89! Seit ein paar Jahren schon war der Wiener Lieblingsopa, Kammerschauspieler und Doyen des Theaters in der Josefstadt nicht mehr in einer neuen Rolle aufgetreten. Schenk als Diener Firs, der am Stock mit kleinen Schritten dahertrippelt und alte Geschichten so leise erzählt, dass alles um ihn herum pausieren muss, damit man ihn versteht: ein programmiertes Ereignis.
Otto Schenk hilft nicht beim Umziehen
Es funktioniert auch aufs Anrührendste, außer vielleicht, wenn der Hausherr ruft: "Firs, hilf mir beim Umziehen!" Also bitte. Otto Schenk hilft niemandem mehr beim Umziehen. Otto Schenk schaut nur zum Abbusseln verdattert drein, wenn die Gouvernante Charlotta Iwanowna ihn kess antanzt. Das einstige "Zirkuskind", das der Gutsgesellschaft Kunststückchen vorführen soll, steckt in Alexander Absengers Körper und ist ein Crossdresser. Auch diese überraschende Lesart geht auf und ans Herz, wenn Charlotta sich, meist von allen unbeachtet, in neuen Glitzergewändern präsentiert und entrückt rauchend über die guten alten schrecklichen Zeiten sinniert.
Amélie Niermeyer, aktuell Lehrgangsleiterin am Salzburger Mozarteum, hat in Wien mehrere Opern inszeniert, Tschechows "Kirschgarten" ist ihre erste Schauspielarbeit in der Stadt. Ihr Zugriff ist modern, wenn auch nicht radikal. Die deutsche Textfassung, die sie verwendet, ist altbackener Ausdrücke entledigt, von einer Überschreibung zu sprechen wäre aber übertrieben. Das ist schon noch der gleiche alte "Kirschgarten", die traurige Komödie über Fortschrittsfeindlichkeit, Verdrängung, Alt gegen Neu und die Schwierigkeit, in ökonomisch unmöglichen Zeiten menschlich zusammenzukommen.
Alles musiziert, einer erschießt sich
Man kocht, während die Ranjewskaja (Sona MacDonald) ihr Unglück bejammert (einst ertrank ihr Kind), man musiziert ungerührt, während sich jemand erschießt. Die Drehbühne zeigt unermüdlich ein außenwandloses zweistöckiges Haus von allen Seiten, Blacks und Pausen gibt es nicht, alles ist im steten Fluss. So liegt Igor Karbus als Kontorist (wer ist das überhaupt und was will er hier?) mehrere Bühnendrehungen hindurch da, bis rauskommt, dass der Schuss nur eine Pose war, um Aufmerksamkeit zu erregen. Erfolglos.
FAZIT – KULTUR VOM TAGE – Radiokritik zu „Der Henker“ am 4. 12. 2019
Auftrag
Besprechung der Premiere „Der Henker“ in der Sendung „Fazit – Kultur vom Tage“
Auftraggeber
Deutschlandfunk Kultur
Projektinfo
Live am 4. Dezember 2019, nach 23:05 Uhr auf Deutschlandfunk Kultur.
