TITANICSPIELE IM KÜNSTLERKLO – Kurzreportage aus dem Bronski & Grünberg im Falter 20/17
In „One to One“ bietet die Gruppe KollekTief sehr unmittelbare Theatererlebnisse. Je ein Schauspieler agiert vor einem Zuschauer.
Man will ja nicht kleinlich sein, aber „One to One“ ist ein Wechselkurs oder ein Spielstand. Was die Gruppe KollekTief meint, ist offensichtlich „One on One“, um das Prinzip zu beschreiben, dass ein schauspielender Mensch exklusiv einem zuschauenden Menschen gegenübersteht.
Dieser zuschauende Mensch hat sich angemeldet und erhält von sehr jung, aber selbstbewusst aussehenden Organisatoren bei Nennung seines Namens einen Plan ausgehändigt. Zur jeweiligen Uhrzeit soll ich mir an der Garderobe des (ebenfalls sehr jungen, da erst letzten November eröffneten) Theaters Bronski & Grünberg die Wegbeschreibung zum Spielort abholen. Gespielt wird hier nämlich im ganzen Theater, nur nicht auf der Bühne, das wäre zu wenig intim.
Zehn Shows gibt es, man kann sie einzeln buchen (€ 4) oder im Paket, Reihenfolge nach Verfügbarkeit. Die Kurzstücke dauern mindestens zehn Minuten, manche länger. Als Erstes steht für mich „Eisberg“ von Anna Marboe auf dem Programm. Sobald der Song „My Heart Will Go On“ ertönt, betrete ich in ein Künstler-WC. Alles ist überschwemmt und feucht, niemand da. Da kommt die Schauspielerin Caterina Pfeffer durchs Fenster hereingeklettert. Sie empfiehlt, dass wir uns nebeneinander auf den zugeklappten Klodeckel setzen. Fazit ihrer reizenden Ansprache: Wir befinden uns auf der Titanic à la James Cameron. Gemäß populärkultureller Überlieferung wird sie die Überlebende von uns beiden sein, aber ich soll mich trösten, es hätte eh nicht geklappt zwischen uns, und es tut ihr ja leid um mich, also eigentlich bin ich ihr egal, denn sie kennt mich gar nicht. Schönen Dank auch. Als angesprochener Zuschauer habe ich das Gefühl, reagieren zu dürfen, aber nicht zu müssen.
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ST. PÖLTEN IST EIN TIER, DAS IM SCHATTEN AUF DER LAUER LIEGT – Porträt von Lemi Ponifasio im Falter 20/17
Der samoanische Choreograf Lemi Ponifasio ist stolz, nie auf einer Theaterakademie studiert zu haben. Jetzt kommt er nach Österreich
Als Lemi Ponifasio zum ersten Mal in Europa gastierte, bemerkte ein Journalist: „Sie sind der erste Regisseur, den ich treffe, der viel lacht.“ Er antwortete: „Ich will nicht immer so traurig sein wie Pina Bausch.“ Der Journalist soll etwas verschnupft reagiert haben, berichtet Ponifasio heiter, denn: „Pina Bausch war Gott.“
Die schelmische Respektlosigkeit gegenüber allem, was in der westlichen Elite als Kanon gilt, ist das Kapital von Salā Lemi Ponifasio, Jahrgang 1964. Als Mensch von der anderen Seite der Erde, der in einem Dorf des pazifischen Inselstaats Samoa als eines von zehn Kindern geboren wurde, ist er stolz darauf, nie auf einer Theaterakademie nach westlicher Façon studiert zu haben. „Neunzig Prozent der Performances auf der Welt sind nicht mit westlichem Theater zu vergleichen. Es gibt viele verschiedene Formen“, sagt er. Sein neuestes Werk mit dem Titel „Standing In Time“ wird am 20. Mai im Festspielhaus St. Pölten uraufgeführt.
Studiert hat Ponifasio sehr wohl, nämlich Politik und Philosophie in Neuseeland, seinem offiziellen Wohnort. Aufgrund des turbulenten Tourneelebens hält er sich freilich weder hier besonders viel auf noch in seinem Geburtsland Samoa, wo er den Status eines Salā, eines Oberhaupts bekleidet. 1995 gründete Ponifasio zusammen mit der Lichtdesignerin Helen Todd die Tanzkompanie MAU. Doch erst seit Ende des letzten Jahrzehnts mischt er mit seinen bildmächtigen Choreografien die Festivals und Institutionen in Europa auf. Dahinter steckt eine bestimmte Absicht: „Ich will zu den Kaisern sprechen. In Europa wird immer noch entschieden, wer wir sind. Daher finde ich es richtig schön, hierher zu kommen, mit den Göttern eures Theaters und den Göttern eures Intellekts an einem Tisch zu sitzen und zu verhandeln, wie das Leben weitergeht.“
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RAVE INS NIRWANA – Nachtkritik von den Wiener Festwochen
Ishvara – Bei den Wiener Festwochen zeigt Chinas Shootingstar der Bildenden Kunst Tianzhuo Chen ein grelles Event zwischen Party und Fashion-Show
Wien, 13. Mai 2017. Dafür, dass es Tianzhuo Chens erstes Mal im Theater ist, lernt er schnell. Sonst zeigt er Performances in Museen oder im Berghain. Dennoch beginnt er sein Gastspiel "Ishvara" in der Halle E im Museumsquartier mit einem neckischen Witz, der mit den Erwartungen des Theaterpublikums spielt: Ein Vorhang geht auf. Chens Skulpturen sind über die Bühne verteilt. Hinten leuchtet ein Neonkreuz neben einem Riesencomic von einer abgehackten Hand, die einen abgerissenen Kopf hält. Vorne steht starr ein Mensch mit chinesischem Schirmchen, rechts spielt Kirikoo Des auf einer Biwa einzelne Töne. Ton. Pause. Ton. Pause. Sonst passiert nichts. Nach wenigen Minuten geht der Vorhang wieder zu, und die Wiener Kulturnasen haben etwas zu kichern.
Mit grandiosen Klagelauten orchestriert
"Ishvara" ist die mit Spannung erwartete Eröffnungsproduktion der Festwochen unter der erstmaligen Intendanz von Tomas Zierhofer-Kin. Der neue Chef hält nichts von Genregrenzen, Opern- und Konzertfans hat er längst vergrault, Sprechtheater mag er nicht. Da passt Tianzhuo Chen (*1985), Jungstar der chinesischen Kunstszene, dem herzlich egal ist, in welchem Rahmen er agiert, hervorragend, um das althergebrachte Label "Musiktheater" ironisch umzudefinieren. Wir sind in einem Theater, und Musik findet statt. Nur ist diese neben der Biwa größtenteils elektronisch und wird von der Schweizer DJane Aïsha Devi und ihren grandiosen Klagelauten orchestriert.