In einer Pressekonferenz am 22. Januar hat die Kritiker*innen-Jury des Theatertreffens ihre Auswahl der 10 bemerkenswertesten Inszenierungen für das Theatertreffen 2025 bekannt gegeben. Wir gratulieren den nominierten Produktionsteams und allen Beteiligten herzlich!
FRAUCHEN IS A BISSL BISSIG – Nachtkritik aus dem Volkstheater Wien
Vor 35 Jahren provozierte dieses Jelinek-Stück einen Angriff auf die damalige Volkstheater-Direktorin. Nun schickt Claudia Bauer einen Schmusechor auf die Bühne, um die alten Wunden zu heilen. Auch Elfriede Jelinek selbst hat einen Auftritt. So hat man sie noch nicht erlebt.
25. Januar 2025. Elfriede Jelinek und der Wiener Schmusechor, das ist doch eine überraschende Paarung. Sie: niemals kuschlig, er: zum Dahinschmelzen lieb. Die Neujahrskonzerte der etwa 50-köpfigen Truppe von Dirigentin Verena Giesinger im Wiener Volkstheater waren ausverkauft und dem Vernehmen nach geradezu magisch.
Nun sind Giesinger und einige ihrer Sänger:innen hierher zurückgekehrt, um ausgerechnet ein Stück der bissigen Nobelpreisträgerin klanglich zu untermalen. In eleganten Abendkleidern (auch die männlich gelesenen Mitglieder) nehmen sie anfangs im Orchestergraben Platz und stimmen auf Claudia Bauers Inszenierung von "Krankheit oder Moderne Frauen" ein. Schon 1990 lief dieses Stück als eine der ersten Jelineks auf der großen Volkstheater-Bühne. Ein Mann griff deshalb die damalige Direktorin Emmy Werner auf der Straße an und wollte sie würgen.
Der Beginn des Kalauerns
Jelineks Werke waren schon harte Brocken, bevor sie zur tagesaktuellen Textfläche überging. Es gibt zwar Figuren, aber die reden kaum miteinander, stoßen eher frontal Selbstbeschreibungen in einer bereits schleichend vom Kalauervirus befallenen Sprache aus. Hier sind dies der Gynäkologe/Zahnarzt Heidkliff und seine Arzthelferin/Verlobte Emily, die schriftstellerische Ambitionen hegt und außerdem Vampirin ist, sowie der Steuerberater Hundekoffer samt schwangerem Hausmütterchen Carmilla. Letztere wird im Zuge ihrer sechsten Geburt von Emily untot gebissen und zu deren Geliebter.
KOMPLEXE GEFÜHLE – Kritik aus dem Staatstheater Nürnberg in der Theater heute 1/25
Auch Rieke Süßkow inszeniert Eugene O’Neills „Eines langen Tages Reise in die Nacht“ in einer entschiedenen Lesart: wort-, aber nicht sprachlos in einer Instrumentalversion am Staatsschauspiel Nürnberg
Vor etlichen Jahren gab es am Burgtheater einmal eine Inszenierung von Eugene O’Neills „Eines langen Tages Reise in die Nacht“. Andrea Breth hatte Regie geführt, Schauspielkapazunder wie August Diehl und Sven-Eric Bechtolf wateten durch eine seichte Wattmeereslandschaft. Vier Stunden zog sich wortreich das Leid der Familie Tyrone, und der Autor dieser Zeilen überschrieb seine damalige Kritik mit dem Spruch „Alles schon gesagt, aber noch nicht von allen“.
Zu einem ähnlichen Schluss dürfte die Regisseurin Rieke Süßkow gekommen sein, als sie den Text des US-amerikanischen Dramatikers (1888–1953) für ihre zweite Inszenierung am Schauspiel Nürnberg vorgelegt bekam. Nun kennt man das ja vielleicht von intensiven Streits mit den Lieben: Alle meinen es gut, man versucht, komplexe Gefühle auszudrücken und sich verständlich zu machen, die Nacht nimmt kein Ende, obwohl allen Beteiligten dämmert, dass es am besten wäre, jetzt nichts mehr zu sagen und schlafen zu gehen. Da nutzt es auch nichts, dass die Psychoanalyse uns schon seit über hundert Jahren vieles über uns selbst bewusst macht.
„Long Day’s Journey Into Night“, ein Familiendrama für vier Personen (eigentlich fünf, nur wird das Hausmädchen meist gestrichen – Andrea Breth bildete auch hier die Ausnahme), spiegelt das Schicksal des US-amerikanischen Autors selbst. 24-jährig lehnte sich O’Neill gegen seinen autoritären Vater auf, ebenso tut dies im Stück der jüngere Sohn Edmund, und auch das Jahr 1912 ist gleich. Als O’Neill das sehr persönliche Werk niedergeschrieben hatte, verfügte er, es möge erst 25 Jahre nach seinem Tod veröffentlicht werden. Seine Witwe genehmigte die Uraufführung dann aber bereits 1956. Sie traf einen Nerv: „Eines langen Tages Reise in die Nacht“ ist bis heute der meistgespielte O’Neill. Gerade in Europa kehrt er in Wellen immer wieder und inspiriert ausgeprägte Regiehandschriften.
Besonders radikal ist jene von Rieke Süßkow – selbst für ihre eigenen Verhältnisse. Süßkows Nürnberg-Debüt, das Werner Schwabs Fäkaliendrama „ÜBERGEWICHT, unwichtig: UNFORM“ ins Milieu der Schießbudenfiguren verlagerte, hatte die einzigartige Sprache des Grazer Autors zum Glänzen gebracht und dem Haus seine erste Einladung zum Theatertreffen beschert. Im „Theater heute“-Jahrbuch 2024 äußerte die Regisseurin dann ihre Verärgerung darüber, dass die Theater zu Textmuseen verkommen.
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QUO VADIS, KULTURSOMMER? – Interview mit Siglind Güttler und Caro Madl im Buch „5x Kultursommer Wien 2020–2024“
Als Siglind Güttler und Caro Madl im pandemischen Mai 2020 gebeten wurden, den Kultursommer Wien aus dem Boden zu stampfen, kehrten sie nach Abschluss des Festivals mit größter Selbstverständlichkeit in ihre Tätigkeiten als Produktionsleiterinnen zurück. Dass sie fünf Sommer später als Vollzeit-Geschäftsführerinnen über die Zukunft des Festivals nachdenken würden, war nicht zu ahnen. Der Kultursommer ist gekommen, um zu bleiben. Wie aber kann und soll es weitergehen? Martin Thomas Pesl, Boardmitglied in den Jahren 2022 und 2023, fragt beim dynamischen Duo nach.
Als Boardmitglied habe ich selbst erlebt, wie konsequent ihr beide Feedback einfordert, um das Festival stetig verbessern zu können. Ist der Kultursommer bald perfekt?
Caro Madl: Oh nein. Die Probleme werden nur kleinteiliger. Jedes Mal, wenn du dir ein Thema wieder anschaust, öffnet sich ein neues Feld an Fragenstellungen. Wir bemühen uns immer, neue Communitys reinzuholen. 2024 hatten wir erstmals Deaf Performances – etwas, wovon ich zuvor noch nie gehört hatte.
Siglind Güttler: Außerdem müssen wir nachhaltiger werden. Schaffen wir es, mehr Radabstellpositionen bei den Bühnen genehmigt zu bekommen? Und Fotovoltaik auf den Containerdächern zu installieren? Das sind lauter sehr technische Fragen.
Madl: Und finanzielle. Kann ich mir die Gebärdendolmetschung statt für zehn für hundert Vorstellungen leisten?
Welchen Weg seht ihr in der Programmierung?
Güttler: Hier kann die Mehrsprachigkeit noch ausgebaut worden. Unser Ziel ist, den Call immer weiter zu streuen und auch fremdsprachigen Gruppen zu zeigen, dass sie sich bewerben können. Das gilt auch etwa für blinde und gehörlose Personen. Die sollen das Vertrauen und das Wissen bekommen, sich zu bewerben.
Ein Kritikpunkt der Szene(n) ist, dass sich Unterschiede zwischen musikalischen und performativen Acts nicht im Honorar niederschlagen: Geld gibt es pro auftretender Person, und in jedem Genre gilt ein Schnitt von drei Auftretenden. Sind hier Änderungen vorgesehen?
Güttler: Diese Debatte muss weitergeführt werden. Ich bin überzeugt, dass sich die Lösung nicht einzig im Honorar findet. Es freut mich immer, wenn die Boardmitglieder einander die unterschiedlichen Produktionsbedingungen der Genres zugänglich zu machen. Denn das Bewusstsein über die eigene Blase hinaus ist hier erstaunlich gering. Zum Beispiel, dass es für Musik und Kabarett im Entstehungsprozess oft viel weniger Geld gibt als etwa für Theater und Tanz. Auch ein Musik-Act kann einen Choreografen oder eine Texterin haben. In Wahrheit ist der Honorarunterschied insgesamt also gar nicht so groß, wie du vielleicht denkst. Aber diejenigen, die gewohnt sind, den Probenprozess bezahlt zu bekommen, melden sich eher.
Madl: Was aber stimmt, ist, dass die Bühnen es manchen performativen Genres schwerer machen. Wir bleiben ein Freiluftfestival. Für Theaterstücke, die für eine Blackbox konzipiert sind, werden wir nie das richtige Format sein. Das hat sich mittlerweile aber auch herumgesprochen.
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