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Martin Thomas Pesl – Autor, Übersetzer, Sprecher und Lektor

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SPUREN IM SCHNEE – Bericht von einer Wintertheaterwanderung im Falter 8/22

February 23, 2022 Martin Pesl

Cassandra Rühmling, Stefan Ried, Kühe © Martin Thomas Pesl

Theater im Winterwunderland: Die Gruppe teatro caprile erforscht die Skikultur auf dem Arlberg

Sport gegen Kultur, Skifahren gegen Theater – was war das in den Lockdowns für ein Kampf! Um den Wintertourismus zu retten, zwinge man die Theater, ihre Häuser geschlossen zu halten, hieß es dort zeitweise zornig. Dabei stecke man sich im Zuschauerraum doch viel weniger an als bei DJ Ötzi in der Après-Ski-Hütte.

Wie zur Versöhnung gibt es jetzt: beides. Die Produktion „Ski Labor Lech“, angeregt vom örtlichen Museum und durchgeführt von der Gruppe teatro caprile, ist eine Wintertheaterwanderung über die Geschichte der Skikultur. Ursprünglich schon 2020 geplant, kann die gründlich recherchierte Szenenfolge des historisch interessierten Regisseurs Andreas Kosek nun endlich an den vorgesehenen Schauplätzen stattfinden.  

Um 12:58 Uhr sollte man den Postbus in Lech am Arlberg erwischen. Um halb zwei gibt es eine kurze Einführung, sowohl szenisch als auch praktisch. Ein Mann von der Bergrettung, versichert die lokale Tourführerin, werde den kleinen Wandertrupp stets begleiten. Dass das notwendig ist, bereitet dem aus Wien angereisten, sehr städtischen Reporter (eindeutig Team Kultur, nicht Sport) etwas Sorgen. Man überreicht ihm gnädigerweise eine Filzmatte, um während der hauptsächlich im Freien und Stehen stattfindenden Spielszenen eine Isolation zwischen Heizsocken, Stiefeln und Schneeboden zu haben.

Dann wird losgestapft. In den Tagen zuvor hat es durchgeschneit, heute ist kein Niederschlag, die Sonne scheint und wird auf allen Seiten von weiten, weißen Flächen reflektiert. Ziemlich genau vier Stunden später ist man am Ziel, gefühlt über einige Gipfel gestapft, nahezu schneeblind und halb erfroren – auch hungrig, denn coronabedingt gab es keine Jause –, aber um einige interessante Kenntnisse reicher.

Weiter im Falter 8/22

In Autor Tags Falter, Theater, Sport, Vorarlberg, Bericht

VOM JAILHOUSE ROCK ZUM HÄFN-HIP-HOP – Nachtkritik aus dem Kosmos Theater

February 16, 2022 Martin Pesl

© Bettina Frenzel

Die junge Dramatikerin Caren Jeß wurde bislang vor allem für ihre gewitzten Minaturkompendien gefeiert. Nach der Vogel-Enzyklopädie "Bookpink" und der Empörungssuada "Eleos" legt sie jetzt ein Stück über junge Männer im Gefängnis vor – in Österreich auch "Häfn" genannt. Unter der Regie von Ebru Tartιcι Borchers wird daraus ein Volksschauspiel – aber in hip.

16. Februar 2022. Zu sphärischen Klängen ziehen die Suchscheinwerfer ihre Kreise. Selbstvergessen tanzen in ihren Zellen auf ihren Pritschen einsame Sträflinge in roten Uniformen und weißen Stiefeln. Red is the new orange, bemerkt das den Saal des Kosmos Theaters betretende Publikum. Und: So viele Männer auf der Bühne hat es hier schon lange nicht gesehen. Fünf! Und keine einzige Frau.

Das heißt nicht, dass das einst als Kosmos-Frauenraum gegründete Haus in Wien seine Ausrichtung aufgegeben hätte. Nur, dass das hier uraufgeführte Stück eben in einer Justizvollzugsanstalt für Männer spielt. Geschrieben hat "Knechte" natürlich eine Frau – die derzeit viel gefeierte deutsche Autorin Caren Jeß. Und inszeniert auch: Ebru Tartιcι Borchers schließt mit dieser Diplomarbeit ihr Studium an der Abteilung Schauspiel und Regie des Salzburger Mozarteums ab.

Delikte von Autodiebstahl bis Totschlag 

Auch vier der fünf Spieler studier(t)en dort – noch ein beachtliches Novum am Kosmos, das seit der Leitung durch Veronika Steinböck immer wieder für Überraschungen gut ist. Vor allem erfüllt sich hier scheinbar mühelos dieser schwierige Anspruch ans Theater, "junges Publikum anzuziehen". Das dürfte auch mit "Knechte" gelingen, das wirkt, als hätte die Autorin das Stück eigens für diese Produktion verfasst. Es gibt fünf jungen Männern eine lustvolle, bildhafte Sprache an die Hand, um kantige Figuren für ein eindeutiges Setting – Gefängnis – herauszubilden. (Nach Jeß’ flirrend-wirren Miniaturenkompendien "Bookpink" und "Eleos" ist das nicht selbstverständlich). Der Nachteil: Für dramatische Handlung interessiert sich Jeß kaum. Ihre toxischen Männer, ihre Boys-will-be-boys, kommen nicht vom Fleck.

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In Autor Tags Nachtkritik, Kritik, Wien, Theater

WIEDERGELESEN: DES FÜHRERS SCHWEISS – Kolumne in der Buchkultur 200

February 10, 2022 Martin Pesl

Irmgard Keun in der Höhle des Löwen: In drei Jahren Nationalsozialismus in Deutschland lernte Irmgard Keun, was man wie sagt. Ihr Exilroman „Nach Mitternacht“ gibt Zeugnis ihrer Schauspielkunst.

Wenn schon eine Bestsellerautorin nicht sagen darf, was sie denkt, dann – ja, dann ist das einfach zum Heulen. Inbegriff bitterer Ironie ist, wenn dieses Heulen einen dann sogar vor Richtern und Zensoren rettet. 

Mit ihren ersten Romanen „Gilgi, eine von uns“ und „Das kunstseidene Mädchen“ war die junge Autorin Irmgard Keun Anfang der Dreißigerjahre schnell sehr erfolgreich geworden. In „Nach Mitternacht“, erschienen 1937 und nun mit einem Nachwort von Heinrich Detering neu aufgelegt, lässt Keun ihre Ich-Erzählerin Sanna in einer Szene in Tränen ausbrechen. Deren Tant Adelheid (vom Verfasser dieser Zeilen in der Buchkultur 178 bereits als veritable Schurkin gewürdigt) hatte sie denunziert, wegen unvorsichtiger Äußerungen über den Führer: Was ihr am besten an seiner Rede gefallen habe? „Dass er so geschwitzt hat.“ Wie sie da vor dem Schnellrichter sitzt, wird ihr bewusst, wie schön es wäre, in einem Land zu leben, in dem man frei reden kann und nicht bestraft wird, obwohl man nichts getan hat. Prompt legt der Richter dem Mädchen die Tränen als Reue aus und lässt sie gehen.

Drei Jahre lang schaute sich Keun an, was in Hitlers Deutschland vor sich ging, und berichtete ihrem ausgewanderten Freund Arnold Strauss darüber in zensurtauglichen Briefen: „... ich komme von Tag zu Tag mehr dazu, in Hitler den wahren, aufopfernden, idealen Menschen zu verehren.“ Die Schwülstigkeit, von der sie wusste, dass der Adressat sie problemlos entschlüsseln konnte, muss ihr ein gewisses Vergnügen bereitet haben.

Weiter in der Buchkultur 200

In Autor Tags Kolumne, Buchkultur, Deutschland

SCHURKENSTÜCKE: JEAN FRAIGER – Kolumne in der Buchkultur 200

February 10, 2022 Martin Pesl

In meinem 2016 erschienenen „Buch der Schurken“ versammelte ich 100 der genialsten Bösewichte der Weltliteratur in einem Minilexikon. Einige blieben dabei auf der Strecke. Schändlicherweise. Hier begleiche ich nach und nach die schurkische Schuld.

„Es ist die düstere Geschichte eines Revolutionärs, der sich nach einem blutigen Coup vom anarchistischen Komitee verraten fühlt und auf eigene Faust weitermacht“, heißt es in der Rubrik „Buchmarkt international“ der allerersten Ausgabe der Buchkultur 1989 über „Das Leben ist zum Kotzen“ von Léo Malet. Da war der 1948 erschienene erste Teil der „Schwarzen Trilogie“ wohl gerade in deutscher Übersetzung herausgekommen, der französische Autor und Anarchist (1909–1996) aufgrund seiner Paris-Krimis bekannt. Ein Exemplar kostete laut Buchkultur 1 „ca. öS 150,-“. 

Jeder der drei Bände hat einen anderen Protagonisten und Ich-Erzähler, denn dieser stirbt am Ende stets einen spektakulären Tod durch die Staatsgewalt. Jean Fraiger aus „Das Leben ist zum Kotzen“ macht den Anfang als Erzschurke aus tiefster Überzeugung, der uns seinen Weltekel nicht nur mit dem titelgebenden Slogan, sondern in jedem Satz zu verstehen gibt: „Allgemein aß ich wenig. Diese Tätigkeit widerte mich an“, schreibt der selbsternannte Held des Widerstands gegen eh alles und erinnert an später Manifeste verfassende Amokschützen, agiert aber professioneller und selbstbewusster. „Die jämmerlichen Idioten, die um mich herum gingen und mich gelegentlich anrempelten, wussten nicht, dass sie mit dem Killer in Berührung kamen, dessen Blutgier auch die Hartgesottensten erschreckte. Ich war kein gewöhnlicher Gangster. Eines Tages würden sie es erfahren.“ An diesem Tag wird Fraiger von der Polizei erschossen.

Weiter in der Buchkultur 200

In Autor Tags Buchkultur, Kolumne, Schurke, Krimi
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