BESCHNITTEN UND BESCHNEIT – Kritik aus dem Volkstheater in der Wiener Zeitung
Uraufführung des queeren Monologs „Der Termin“ in der Volkstheater-Dunkelkammer.
„Wo bleibt der Shitstorm?“, fragte die Süddeutsche Zeitung 2021 zu „Der Termin“ von Katharina Volckmer. Der Monolog eines jungen Transmanns aus Deutschland richtet sich nämlich an den Chirurgen Dr. Seligman, während dieser seinem weiblichen Körper einen „wunderschönen jüdischen Schwanz“ anoperiert, „mit allem drum und dran, beschnitten und so“ – eine Kombination aus Identitätsverfestigung und Sühne für die deutsche Kollektivschuld am Holocaust.
Die Regisseurin Laura N. Junghanns hat den als Roman erschienenen Text der in London lebenden Autorin in der Dunkelkammer des Volkstheaters zur Uraufführung gebracht. Statt brachialer Provokation hebt sie seine literarischen, poetischen Qualitäten hervor. Während stets sanft die Schneeflocken von der Decke rieseln, zeigen eine Leinwand und gestapelte Fernseher assoziative Bebilderungen des Gedankenstroms (Bühne: Jane Zandonai, Video: Marvin Kanas).
REISE IN EINE ANDERE ZEIT – Kritik aus dem Hamakom-Theater in der Wiener Zeitung
Nino Haratischwilis Stück „Herbst der Untertanen“ endlich erstaufgeführt im Hamakom-Theater
Eine Rose warf Hamakom-Leiterin Ingrid Lang auf den leeren Platz zwischen den zum Applaus aufgereihten Schauspielerinnen. Sie galt Michael Gruner, dem vergangenen Oktober verstorbenen Regisseur. Schon vor knapp zwei Jahren stand seine Produktion „Herbst der Untertanen“ hier auf dem Spielplan. Er hat die österreichische Erstaufführung noch fertiginszeniert, die Premiere aber nicht mehr erlebt. So bittere Blüten treibt die Pandemie in der Kultur.
Das Stück der für den Generationenroman „Das achte Leben (Für Brilka)“ bekannten georgisch-deutschen Autorin Nino Haratischwili handelt von den Machtspielen dreier Hausangestellten, deren Herrschaften sich im Zuge eines Bürgerkrieges in einem nicht benannten Land aus dem Staub gemacht haben. Rina, die Alte (Christine Dorner), ist überzeugt, dass sie zurückkehren werden, und hält verbissen die Hierarchie aufrecht. Kaela, die Mittlere (Katharina Schumacher), provoziert Rina unaufhörlich, zur Verzweiflung der jungen Geflüchteten Luci (Tonia Fechter), die immer zu ihrer Schwester will.
PARTY LIKE IT'S TWENTY-TWENTY-TWO – Nachtkritik aus dem Schauspielhaus Graz
Graz, 15. Januar 2022. F. Scott Fitzgeralds Roman auf der Bühne? Das heißt Partystimmung. Regisseurin Claudia Bossard spart nicht damit in ihrer Adaption "Making a Great Gatsby", aber auch nicht mit pathetischen Reden, Katerstimmung nach viel amerikanischen Patriotismus und dem Gefühl von Hoffnungslosigkeit nach der Wahlparty.
15. Januar 2022. Einen Vorteil hat es, dass "Making a Great Gatsby" mehrmals lockdownbedingt verschoben wurde. So kommt Claudia Bossards Bearbeitung hundert Jahre nach den im Jahr 1922 angesiedelten Ereignissen des Romans von F.-Scott-Fitzgerald zur Premiere. Leider gestalten sich die Twenties des neuen Jahrhunderts bisher deutlich weniger Roaring. Entsprechend trocken liegt hier ein dreckiger Swimmingpool auf der Bühne vor einem Gerüst, das wirkt wie eine lang aufgegebene Baustelle. Vorne links eine Telefonzelle, Symbol für einstigen Fortschritt.
Zwei armselige Maskottchen hüpfen herum, eine Disney-Maus und ein längliches Ding mit Sombrero. Alexej Lochmann tippt, es könnte sich um einen "cute little chili pepper" handeln. Alles ist glorreich amerikanisch hier, ein bisschen over the top. Später wird von Gertrude Steins Roman "The Making of Americans" die Rede sein, der 1925 fast zeitgleich mit "The Great Gatsby" herauskam und dem sich wohl der Kombititel des Abends verdankt.
Lochmann, dem neben Alice Peterhans eine überdrehte Moderatorenrolle zukommt, schwört das Publikum auf nahende "Greatartigkeit" ein, bevor sich die Band und das Ensemble endlich für den Auftakt zur Geschichte vom großen Romantiker Gatsby an der Rampe versammeln. Dekadente Kostüme vermitteln patriotische Aufbruchstimmung, selbst der Jogginganzug trägt als Muster die Stars-and-Stripes-Flagge. Aber halt, nicht übermütig werden: "THE END IS NEAR", verkündet ein Ganzkörperschild.