ICH HABE DEN TURMBAU ZU BABEL ÜBERLEBT – Pesls Festwochentagebuch (7) im Falter 35/21
PÜNKTCHEN, PÜNKTCHEN, PÜNKTCHEN – Buchrezension in der Buchkultur 197
Die Neuübersetzung von Louis-Ferdinand Célines „Mort à crédit“ bietet qualvolle Lektüre.
Irgendwie entgeht Louis-Ferdinand Céline dem Trend der Cancel-Culture. Man weiß, dass der Autor von „Reise ans Ende der Nacht“ ein grässlicher Antisemit und Nazi-Kollaborateur war, und schafft es dessen ungeachtet, sein Prosawerk als ein ganz großes zu würdigen. Der Rowohlt-Verlag lässt es sogar neu übersetzen. Hinrich Schmidt-Henkel hat dem autobiografisch gefärbten Wälzer „Mort à crédit“ aus dem Jahr 1936 den sinnvollen Titel „Tod auf Raten“ verliehen. Bei der Übertragung aus dem Französischen hat er viel Bedacht in die Wahrung schiefer Formulierungen, Slang-Ausdrücke und einer insgesamt durch und durch abstoßenden Erzählhaltung des Protagonisten gelegt. Damit hat er dem Text nicht unbedingt einen Gefallen getan. Gewiss entwickelt er phasenweise den Sog eines Autounfalls, von dem man nicht loskommt. Doch die inflationäre Verwendung von Auslassungspunkten („...“) lässt die 820 Seiten mitunter wirken wie E-Mails eines konfusen Verschwörungstheoretikers, der sich weigert, zum Punkt zu kommen.
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SCHURKENSTÜCKE: ARSÈNE LUPIN – Kolumne in der Buchkultur 197
In meinem 2016 erschienenen „Buch der Schurken“ versammelte ich 100 der genialsten Bösewichte der Weltliteratur in einem Minilexikon. Einige blieben dabei auf der Strecke. Schändlicherweise. Hier begleiche ich nach und nach die schurkische Schuld.
Eigentlich ist es völlig absurd, dass Frack und Zylinder, Spazierstock und Monokel sich als Markenzeichen des Meisterdiebs und „Gentleman-Gauners“ Arsène Lupin durchgesetzt haben. Schuld ist wahrscheinlich Sherlock Holmes. Mit dem Londoner Detektiv pflegt Lupin eine von Respekt geprägte Rivalität, ihn zeichnen bekanntlich Schirmmütze und Pfeife aus. Holmes-Erfinder Arthur Conan Doyle fand es eher frech von seinem französischen Kollegen Maurice Leblanc, sich die populäre Figur im Nachhinein auszuborgen und dann auch noch zu beschreiben, wie Lupin Holmes regelmäßig an der Nase herumführt. Der Mann aus der Baker Street musste in Leblancs Geschichten aus rechtlichen Gründen in Herlock Sholmes umbenannt werden. Aber was der kann, dachten sich die Fans, soll unserer auch können: auf den ersten Blick durch äußere Merkmale erkennbar sein. Ziehen wir ihn extraelegant an! Dann kann man ihn leichter zeichnen. Japanische Manga-Autor/innen werden sich auf ihn stürzen.
So kam es. Doch hat Arsène (nein, der Vorname hat nichts mit Gift zu tun) gerade die Spezialität, unerkannt zu bleiben, oft selbst für die Leser/innen. Gleich in der ersten Geschichte aus den Nullerjahren des vergangenen Jahrhunderts (jetzt neu aufgelegt bei Belle Époque) spielt Leblanc ein gekonntes Verwirrspiel mit den Erzählperspektiven: Nie kann man sicher sein, ob sich der Ich-Erzähler als Lupins Biograf oder gar als der Maestro selbst entpuppen wird.
Lupin gehört zu den „netteren“ Schurken. Anders als sein Landsmann Fantômas meidet er Gewalt, und in der Zeitung wird ihm öfter zugeschrieben, Verbrechen verhindert, als sie begangen zu haben. So richtig sympathisch wird er aber nie. Zu sehr gefällt ihm das Spektakel um seine Person.
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