„Der Zerrissene“ beim Theatersommer Haag
„Polleschke psychoaktive Boulevardtragödie“. So beschrieb Theatersommer-Haag-Intendant Christian Dolezal im Falter-Interview den Inszenierungsansatz von Dominic Oley an Johann Nestroys „Zerrissenen“. Der Abend ist nicht so verschwurbelt, wie das klingt, sondern, bodenständiger formuliert, sehr lustig, aber auch gescheit.
Der Plot hält sich, wie auch das Programm verrät, „sehr nah an Nestroy“: Millionär Lips, depressiv und angeödet, will die Erstbeste heiraten, die bei ihm anläutet. Diese Madame Slayer, äh, Schleicher, äh, Schleyer (dies als Vorgeschmack auf Oleys Humor) entpuppt sich als Verflossene eines vor Ort arbeitenden Schlossers. Beim Hahnenkampf stürzen die Männer in einen Fluss. Beide überleben, meinen aber, den anderen getötet zu haben. Die Extremsituation löst existenzielles Umdenken aus: Das einfache Mädel Kathi (selbstbewusst: Miriam Fussenegger) wird plötzlich nicht mehr ganz so von oben herab behandelt. „Der Zerrissene“ ist eine von Nestroys gelungensten und witzigsten Stückkonstruktionen.
Auf diesen (gut) aufg’legten Witz verzichten auch Oley und sein vielfältig begabtes Ensemble nicht. Manch moderner Kalauer kommt hinzu, aber auch eine Metaanalyse durch Schleyer-Darstellerin Sigrid Hauser, der es nicht passt, im gesamten zweiten und dritten Akt „überbezahlt in der Garderobe“ zu warten. Kajetan Dick bedient als Bauer Krautkopf das klassische Repertoire der Komödiantik, wenn er den Schlosser versteckt und ob dessen unverschämten Forderungen verzweifelt. Letzteren gibt Tania Golden, die einen ab der ersten Sekunde vergessen lässt, dass sie eine Frau ist. Perfekt aufeinander abgespielt und daher auch als Figuren aufgewertet sind Lipsens heuchlerische Freunde (Boris Popovic, Josef Ellers) und die Bediensteten (Maria Astl, Samuel Pock). Der Lips schließlich könnte in all das nicht besser hineinpassen als in der Gestalt von Dolezal selbst. Wie er wienerisch larmoyant durch die Welt tapst und allmählich beginnt, sich zu spüren, ist großes Theater. MARTIN PESL
Falter 27/21