In meinem 2016 erschienenen „Buch der Schurken“ versammelte ich 100 der genialsten Bösewichte der Weltliteratur in einem Minilexikon. Einige blieben dabei auf der Strecke. Schändlicherweise. Hier begleiche ich nach und nach die schurkische Schuld.
Das Mekka fiktionalen Schurkentums: Wir imaginieren es irgendwo in den USA – die Wall Street vielleicht oder eine Horrorinsel vor Floridas Küste, auf der atommachtfinanzierte Wissenschaftler mit Holzbeinen infernalisch lachend ihren hippokratischen Eid verbrennen. Vielleicht denken wir es uns auch in ein Dreißigerjahre-Berlin, wo Nazis mit Augenklappen aufmarschieren. Wo die Wenigsten das Mekka des Schurkentums orten, ist Mekka. Wohl, weil wir westlich denken und lesen, vielleicht aber auch, weil dort auch unbepilgert schon gar viele fiese Männer ihr Unwesen treiben. Das verrät die hier gebürtige Autorin Raja Alem in ihrem preisgekrönten Roman „Das Halsband der Tauben“.
Eine Handvoll sammelt sich in der selbst ernannten Vielkopfgasse – in der Tat, sie spricht, ist über weite Strecken gar Erzählerin der Geschichte, verweigert aber aus schelmischer Lust entscheidende Informationen, etwa wer die Frauenleiche ist, deren Mord es zu klären gilt. Der Inspektor geilt sich an den Liebesbriefen einer der beiden Opferkandidatinnen auf, wenn er seine Verdächtigen nicht mit Klimaanlagengebläse quält; der frömmelnde Scheich sperrt seine Tochter ein, nimmt selbst aber ein wehrloses Wesen zur Frau; und der krebskranke Ex-Pilot lebt seine Actionfilmfantasien als rasender Taxifahrer aus, indem er Fahrgäste bewusst ans falsche Ende der Stadt bringt, um ihnen Angst zu machen.
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