Die Späte der Stunde – Festival Sommerszene Salzburg – Die Performancegruppe ohnetitel entführt das Publikum mit Homer und Joyce auf eine Odyssee durch Salzburg
Salzburg, 17. Juni 2018. Salzburg hat – also bei jüngeren Menschen von anderswo – jetzt nicht sooo den guten Ruf: museal, kitschig, teuer, ein aalglattes Disneyland der "Sound-of-Music"-Freaks. Dass es auch hart und dreckig kann, zeigte Adrian Goiginger 2017 im Kinofilm "Die beste aller Welten". Liebevoller schaut jetzt die bewährte lokale Performance-Gruppe ohnetitel gleich in sehr viele Alltagsecken dieser Stadt, in der, wer hätte das gedacht, auch vor und nach den Festspielen echte Menschen leben und arbeiten. Die mehrtätige unkonventionelle Stadtrundfahrt hat große literarische Vorbilder: James Joyce, dessen Protagonist Leopold Bloom 24 Stunden lang durch ein ganz normales Dublin streifte, und Homer, dessen "Odyssee" wiederum Joyces Roman "Ulysses" seinen Namen gab.
Eine Fahrt ins Ungewisse
Einen Tag nach dem offiziellen Bloomsday, dem 16. Juni, eröffnet der erste von sechs Teilen von "Die Späte der Stunde" das internationale Performance-Festival Sommerszene. Gezeigt werden heute die Kapitel 1–4, bis Samstag folgen noch zwanzig weitere: 24 Kapitel für 24 Bloom-Stunden, und jedes findet an einem anderen Ort irgendwo in Salzburg statt. Welche das jeweils sind, das erfahren die bis zu 30 Teilnehmer*innen nicht, wenn sie in den Bus einsteigen. Eine Fahrt ins Ungewisse, das wird betont – eine Odyssee durch Salzburg, deren Montagsstationen nun durch diese Kritik hier gespoilert werden.
In der Werkstatt eines Möbelgeschäfts verliest Manfred Kern zunächst eine Art Keynote-Speech. Es handelt sich um einen eigens verfassten humorig-eloquenten, akademisch-ironischen Essay zur Rechtfertigung des ganzen Unterfangens. Da heißt es etwa, Salzburg müsse sich vor Dublin und Ithaka nicht verstecken, denn wo wären die schon ohne Joyce bzw. Homer. Stimmt. Und: "Ἄνδρα μοι ἔννεπε, Μοῦσα", der Beginn der "Odyssee", klinge immer wie ein Aufzählung von Namen: András Moi, N. E. P. Moser. Für welche Vornamen Frau Mosers Initialen wohl stehen könnten?
Hollywood-Diven am Pool
Wenn dieser Mann noch nicht Latein und Griechisch an einem humanistischen Gymnasium unterrichtet, sollte er dringend damit anfangen, er wäre der beliebteste Lehrer: gebildet, sarkastisch, cool. So wird feinsinnig augenzwinkernd weitergesponnen, während hinter ihm ein Chor Homer zitiert und der Jazzmusiker Gerhard Laber die ausgefallensten Musikinstrumente betätigt: Pinsel auf Kuhglocken, Steine auf Holzboden.
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