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Martin Thomas Pesl – Autor, Übersetzer, Sprecher und Lektor

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„TAKE IT OR LEAVE IT“ – Interview mit Béla Tarr im Falter 23/19

June 4, 2019 Martin Pesl
© Béla Tarr

© Béla Tarr

Der große Avantgarde-Filmer Béla Tarr realisiert bei den Festwochen ein Projekt mit Wiener Obdachlosen. Ein Gespräch über Wiederholungen im Leben, seine Heimat Ungarn und darüber, ob man Film lehren kann

Wäre die Welt einer seiner Schwarz-Weiß-Filme, Béla Tarr würde glatt darin verschwinden. Vor seinem Hotel in der Josefstadt steht der ungarische Regisseur klein, grau, gezeichnet und müde und sagt: „Ich rauche hier jetzt noch zwei Zigaretten, dann können wir anfangen.“

Avantgarde-Kenner verehren Tarr als einen der prägendsten Regisseure der Kinogeschichte. Vor allem „Satanstango“ nach dem Roman von László Krasznahorkai steht in zahlreichen Cineastenlisten weit oben. Der 1994 erschienene Film dauert sieben Stunden, hat aber nur etwa 150 Einstellungen. Er schildert den Verfall eines Dorfes in den letzten Jahren des ungarischen Kommunismus und galt lange als verschollen. 2007 kündigte Tarr an, sein nächster Film „Das Turiner Pferd“ werde sein letzter sein. Daran hielt er sich eisern. Umso sensationeller ist es, dass die Wiener Festwochen den stillen Star für eine Zusammenarbeit gewinnen konnten. Das Projekt „Missing People“ wird in der Halle E im Museumsquartier mit Obdachlosen aus Wien erarbeitet und dort auch als Installation mit Bewegtbild und Live-Musik gezeigt.

Der Falter trifft Béla Tarr schon im März im Zuge seiner Castings für das Projekt. Trotz seiner erst 64 Jahre hat der gesundheitlich angeschlagene Mann die Aura eines alten Weisen. Durch den Interviewer auf Ungarisch ehrfürchtig gesiezt, beharrt Tarr in seinen Antworten auf dem Du. Seine Stimme ist sonor und sanft. Wenn er über das Schicksal der Obdachlosen spricht, wird er leise wie bei einer Meditation. 

Herr Tarr, was hat Sie zu dieser Filminstallation mit Wiener Obdachlosen inspiriert?

Tarr: Einmal die Architektur der Halle E. Das Zweite war, dass am Tag meiner Ankunft in Wien ein ungarisches Gesetz in Kraft trat, wonach Obdachlose, die auf der Straße leben, ins Gefängnis gesteckt werden dürfen wie Verbrecher. Am selben Tag hat die Bürgermeisterin von Paris angekündigt, dass sie für die Wintersaison das Rathaus für Obdachlose öffnet.

Wien liegt ja zwischen Ungarn und Paris und wurde jüngst wieder zur lebenswertesten Stadt der Welt ernannt. Welche Rolle spielt die Stadt in Ihrem Projekt?

Tarr: Ich muss sagen, dass ich Wien nicht kenne. Was ich kenne, ist das Wien der Obdachlosen. Was ich kenne, sind der Gürtel und die Außenbezirke. Ansonsten komme ich abends ins Hotel, esse, schlafe. In der Früh geht es dann wieder los. Aber eines ist sicher: Diese ganze Sache ist viel schwieriger, als ich je gedacht hätte. Ganz anders als einfach einen Film zu machen. Man wird auf ganz existenzielle Dinge aufmerksam. Man ist ja nicht gefühllos, und solche Menschenleben zu sehen, das laugt einen geistig völlig aus. 

Wie lief das Casting?

Tarr: Ich versuche, die Menschen kennenzulernen. Denn jeder Mensch ist anders. Jeder spricht eine andere Sprache, hat eine andere Kultur und Lebensgeschichte. Das Endergebnis ist gleich, aber auf die verschiedenen Wege dorthin muss ich mich einlassen. Ich habe ein einigermaßen umfassendes Gesamtbild des Projekts. Das versuche ich jetzt in eine Dramaturgie, in eine sehr lose Form zu packen. Das wird ja kein Film, den wir projizieren. Das werden Bruchstücke, Stimmungen, menschliche Gesichter.

Es gibt also keine Handlung?

Tarr: Nein, so wie es auch im Leben dieser Menschen keine Handlung gibt. Ich sage ja immer: Eine Story führt uns nur an der Nase herum, denn sie spiegelt uns vor, dass irgendetwas passiert. Diese Menschen haben so eine Starre, die mir manchmal einen Stich in die Brust versetzt. Sie bewegen sich von der nächtlichen Unterkunft, wo sie zwischen 18 Uhr und 7 Uhr bleiben können, an eine Tagesstätte, wo sie sich aufwärmen. Die wird aber um 15 Uhr zugesperrt. Dann gehen sie ein bisschen betteln, die Mutigeren stehlen oder tun etwas dergleichen, was natürlich gesetzeswidrig ist. Dieser Kreislauf ist die ganze Bewegung.

Und die Menschen rechnen auch gar nicht mehr damit, aus diesem Kreislauf auszubrechen?

Tarr: Für manchen ist der große Traum, Straßenkehrer zu sein. Davon kann er sich aber noch lange keine Wohnung leisten, höchstens Zigaretten und was zu trinken. Einige von ihnen leben seit acht Jahren auf der Straße und tragen ihr ganzes Leben mit sich herum.

Mehr im Falter 23/19

In Autor Tags Interview, Falter, Film, Kunst, Wiener Festwochen, Ungarn, Ungarisch

SOLO FÜR EINEN KÖRPER – Kritik von den Wiener Festwochen in der Wiener Zeitung

June 4, 2019 Martin Pesl
© Otto Zinsou

© Otto Zinsou

„Savušun“ bei den Wiener Festwochen: Sorour Darabi mit einem präislamischen Ritual

Ein leerer Raum, von hinten mit Scheinwerfern beleuchtet, die fast ein bisschen die erste Reihe im Hamakom-Theater blenden. Sorour Darabi kommt herein, verletzlich in eine Decke gehüllt und mit kindlicher Stimme auf Farsi (vermutlich) das Publikum zum Ritual „Savušun“ begrüßend. Der Begriff, so der Programmzettel, bezeichnet eine präislamische Zeremonie, bei der ein ganz bestimmter mythischer Prinz betrauert wird. Darabi nutzt die kulturelle Referenz für Rituelles im Zusammenhang mit der eigenen Körperlichkeit und Identität. 

Die non-binäre Künstlerpersönlichkeit zeigt im Rahmen des Iran-Schwerpunkts der diesjährigen Wiener Festwochen eine aktuelle Arbeit mit dem Titel „Savušun“. Sobald die Decke Darabis nackten Oberkörper freigibt, starrt das Publikum unweigerlich auf die Kombination aus starker Körperbehaarung und Brustansatz, sodass die Provokation der im Stile eines Sprengstoffgürtels umgeschnallten Wachskerzen nahezu untergeht

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In Autor Tags Performance, Wiener Zeitung, Wiener Festwochen, Kritik

FURIOSE BILDER – Kritik von den Wiener Festwochen in der Wiener Zeitung

June 4, 2019 Martin Pesl
© Sammi Landweer

© Sammi Landweer

Lia Rodrigues’ „Fúria“ bei den Wiener Festwochen 

Am eindeutigsten scheint noch das erste Bild. Da geht langsam das Licht über einer Gruppe erwachender Menschen auf. Sie liegen auf einem bunten Lager aus Gewand, Zeug und Müllsäcken - eine Favela wie Maré in Rio de Janeiro, wo die 63-jährige Choreografin Lia Rodrigues seit acht Jahren eine Tanzschule betreibt. Dort hat sie die neun jungen Tänzerinnen und Tänzer ihrer neuen Arbeit "Fúria" zu Profis ausgebildet.

Die morgendliche Zähigkeit hält nicht lange an. Bald schon schwillt, wie im fernen Hintergrund, ein rhythmischer Klang an. Was man zunächst für Marschübungen hält, ist die traditionelle Musik der Kanaken, der melanesischen Ureinwohner Neukaledoniens. Ihr mit Pfiffen und Rufen durchsetztes Klopfen wird lauter und verstummt dann eine Stunde lang nicht. Dem Rhythmus teils folgend, teils entgegenarbeitend füllen die Tanzenden die Festwochen-Spielstätte Odeon mit bemerkenswerter Präsenz.

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In Autor Tags Tanz, Wiener Festwochen, Wiener Zeitung, Kritik

LINZ WIRD NICHT UNTERGEHEN – Kritik eines Audiowalks von Theaternyx im Falter 22/19

May 28, 2019 Martin Pesl
© Reinhard Winkler

© Reinhard Winkler

Ein Audiowalk von Theaternyx führt ins Jahr 2050

Ein Sprung, und schon sind wir im Jahr 2050. Mit der richtigen Suggestion im Ohr und einer Prise Fantasie ist das ganz einfach möglich. Die Gruppe Theaternyx, federführend Claudia Seigmann, Markus Zett und Claudia Tondl, hat sich für Linz eine nähere Zukunft ausgedacht. Als Tonspur überlagert sie die gegenwärtige Stadt. Es ist ein bisschen wie diese Büchlein vom alten Rom oder Pompeji, in denen Touristen Rekonstruktionen der damaligen Gebäude auf Transparentpapier über Fotos der heutigen Ruinen legen können. Nur umgekehrt.

Das Publikum von „Über.morgen Linz“erhält am zentralen OK-Platz gegen einen Lichtbildausweis Kopfhörer und wird dann von einer freundlichen Frauenstimme durch die Stadt geleitet. Der Weg ist exakt beschrieben, nichts kann schiefgehen, man darf sich 80 Minuten lang wahrlich ferngesteuert fühlen. Musik versetzt in die richtige Stimmung. „Zeitzeugenberichte“ aus den Kopfhörern geben ein Bild dessen, was zwischen 2019 und 2050 alles passiert ist. Zusammengefasst: erst klimatisch und politisch Katastrophales, dann ein kollektives Zusammenreißen.

Mehr im Falter 22/19

In Autor Tags Falter, Kritik, Oberösterreich, Performance, Zukunft
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