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Martin Thomas Pesl – Autor, Übersetzer, Sprecher und Lektor

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Martin Thomas Pesl – Autor, Übersetzer, Sprecher und Lektor

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MANN VON WELT – Porträt des Filmemachers Edgar Honetschläger im WIENER 392

July 17, 2014 Martin Pesl
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© Andreas Jakwerth

 

ACHSE ROM–L.A.

Finden Sie den Nabel der Welt! Es ist Rom, sagt Edgar Honetschläger. Warum, erklärt er mit seinem irren neuen Milliardenfilmprojekt.

Inmitten von 500 m2, die über und über mit großformatigen Malereien ausgelegt sind, sitzt ein Mann mit wildem grauem Haar in einem Lehnstuhl und hört beschwingte Musik. „Hallo“, sagt er mit sanftmütiger Stimme. „Kaffee?“ Den bereitet einem Edgar Honetschläger dann eher unbeholfen zu, während der Wasserhahn läuft, „weil das den Rohren hier draußen guttut“. Draußen fürwahr, im 23. Bezirk, liegt sein Atelier. Hier präsentiert sich ganz der wilde Künstler, sagt aber: „Ich bin Ordnung gewohnt.“ Darum war ihm das Jahr, als er einen Thriller in Brasília drehen wollte, ein Albtraum. „Die Italiener kommen immer zu spät, aber die Brasilianer kommen gar nicht! Und sie halten dich für einen Kolonialisten.“ Der Produzent büxte mit dem Vorschuss des ORF aus; nur dank seiner Freundschaft mit dem damaligen Programmdirektor kam Honetschläger glimpflich davon. Er schrieb den Thriller zum Märchen um und drehte mit weniger Budget in Japan.

Der Kosmopolit

Tokio, New York, Kalifornien – und zuletzt auch Italien: Rom, Florenz, Sizilien, Umbrien. Wenn man sich mit Edgar Honetschläger unterhält, poppt alle paar Minuten ein neues „und dann war ich in“ oder „habe dort gelebt“ auf. Eigentlich ist er aus Linz, aber sein Dialekt ist das einzige, was ihn irgendwo verortet. Nur indem er nirgendwo und überall dazugehört, hielt er es ein Jahrzehnt in Japan aus. „Die Japaner sind noch viel ausländerfeindlicher als wir das gewohnt sind. Dort kommst du nur klar, wenn du gar nicht erst versuchst, dich zugehörig zu fühlen. Da das bei mir immer schon so war, hat es gut gepasst.“ 

Auch beruflich hat Honetschläger keine Szene, in der er sich häuslich einrichtet. „Die Kunstleute stecken mich in die Filmecke, die Filmleute in die Kunstecke.“ Wenn er beginnt, einen Film zu machen, ist längst nicht entschieden, ob der ausschließlich in Museen und auf Kunstfilmfestivals laufen wird oder im Gartenbaukino und im normalen Vertrieb, wie jüngst „Aun“ oder „Omsch“, die Doku über seine 102-jährige Nachbarin. Auf der documenta X 2001 in Kassel hatte er seinen Durchbruch in der bildenden Kunst. In Italien wird er aber gerne mit Filmemachern wie Antonioni verglichen, die englische Wikipedia führt ihn als Modeschöpfer eines Sortiments für Hühner an. Ja, Hühner.

Seine documenta-Arbeit verwies auf einen Japaner, und er kämpfte vergeblich darum, keine Nationenbezeichnung anzuführen, das Rätsel ungelöst zu lassen. Einerseits überschneiden sich seine Kreise durchaus mit der österreichischen Politik und er wird schon mal zum Kanzlerfest eingeladen. Andererseits ist ihm – ganz unösterreichisch – Besitzstreben so fremd wie Kategorisierung. „Ich will nicht eingesperrt sein und immer an den gleichen Ort fahren müssen. Sich einzubilden: das ist jetzt meine Scholle, und im schlimmsten Fall vererbe ich sie, heißt, die Endlichkeit nicht zu akzeptieren. Ich setze als Künstler eh ständig was in die Welt; das ist mehr als genug.“ Dementsprechend hat er das gigantische Atelier bei der Besitzerin auch nur vorübergehend eingetauscht – gegen Kunst.

Vor dreieinhalb Jahren kam er hierher, um das vielleicht größte Projekt seines Lebens vorzubereiten. „Billionaire“ wird „das erste Roadmovie, das im Studio gedreht wird“, und bedarf daher einer Unzahl an gemalten Kulissen, die hinter den Darstellern und ihrer 50er-Jahre-Karre vorbeigekurbelt werden. Und die hat die selbsternannte „One-Man-Show“ Honetschläger natürlich alle selbst gemalt. „Ich dachte damals, ich wäre in drei Monaten fertig“, lacht er. „Dann musste ich die Besitzerin beknien, mir den Raum noch weiter zur Verfügung zu stellen.“

“Als gelernter Österreicher kommt man ohne Italien schwer aus.”
— Edgar Honetschläger

Der Bildermacher

Jetzt sind die Bilder fertig und werden nach und nach auf eine eigens gebaute Maschine gespannt, um das Roadmovie in Gang zu setzen. Beginnen wird es auf einem Hügel bei Rom, von wo aus drei ulkige vatikanische Kardinäle („the Marx Brothers of Faith, wie ich sie nenne“) die Hauptfiguren (zu denen auch der Teufel gehört) auf eine kuriose Ost-West-Fahrt durch die USA schicken. Enden werden sie in Los Angeles, denn Hollywood, erklärt Honetschläger, bildet das natürliche Pendant zu Rom.

Wie das? „Der Westen dominiert nach wie vor die Welt, weil wir die Macht über die Bilder in Händen halten. Rom und L.A. bilden dabei eine Achse, denn der Vatikan war Hunderte von Jahren als Auftraggeber für den Großteil der Bilderproduktion verantwortlich, und in den letzten hundert Jahren hat das Hollywood übernommen. Wenn du in einem nicht christlichen Land lebst, andere Vorstellungen von Welt, Leben und Liebe hast, bohrt sich so ein Hollywood-Film leicht in dich hinein. Der ist so verführerisch und reizvoll, dass du dir das auch wünschst. Daher hat die Macht, wer die Bilder macht.“

Dass er besagtem nicht christlichen Kulturkreis, Japan, 2011 den Rücken kehrte, hing auch mit dem Reaktorunfall von Fukushima zusammen, aber nicht nur: „Nachdem ich in Tokio alles an Geschichte und Literatur eingesogen hatte, dachte ich mir: Was weiß ich eigentlich über meine eigene Kultur als Europäer? Und da musst du in Rom anfangen.“ Prompt zog er hin und machte die Filmtrilogie „Colors“, gefolgt von einem Film über Sizilien, das „wie eine Torte im Meer liegt“, daher der Titel: „Il mare e la torta“. In dem Spielfilm stieß Friedrich II. auf eine Reihe lebender und real mitwirkender Inpselersönlichkeiten, vom Bürgermeister Orlando bis zum Cellisten Giovanni Sollima. 

Die letzten drei Sommer hat Honetschläger in Umbrien verbracht, wo er im Haus der bedeutendsten Caravaggio-Restauratorin des Landes an seinen Filmen schnitt. Auch sie bezahlte er mit Kunst. „Als gelernter Österreicher kommt man ohne Italien schwer aus. Es ist uns doch sehr nah, nicht nur geografisch“, so die Conclusio. Und das hat eben in erster Linie mit der christlichen Kirche zu tun, die ihn grenzenlos fasziniert. „Du kannst noch so ausgetreten sein ‒ wie ich ‒, du kannst die Religion noch so sehr hassen, aber es ist halt nicht möglich, an einem Haus in Wien vorbeizugehen, ohne dass diese christliche Welt mit ihrer Symbolik und allem, was sie repräsentiert, in dich hineinkriecht.“ Die 1,2 Milliarden Seelen weltweit, die der Papst von Rom aus verwaltet, machen ihn zum Milliardär, zum „Billionaire“ eben.

Der Pleaser

Honetschlägers atheistische Freunde befürchten schon, sie könnten ihn nachher nicht mehr mögen. Deshalb ist es ihm auch wichtig zu betonen, dass er eben keinen religiösen Film macht. „Die Inhalte sind egal, es ist auch egal, wer Papst ist, es geht um den Machtfaktor, den die Institution darstellt.“ Perfekt knarzend mit dem rollenden Ami-R fügt er dann noch hinzu: „I’m a pleaser, I like to please people. Die tiefsinnige Botschaft muss nicht jeder mitkriegen. Der Film soll vor allem unterhalten, ein gutes Gefühl vermitteln.“ Und spätestens jetzt ist klar, dass Edgar Honetschläger nicht das ist, was man einen österreichischen Filmemacher nennt. Sondern viel mehr. 


BIOGRAFISCHES

IN LINZ BEGANN’S. Aber seine Eltern schickten ihn viel nach England. Später lebte er in Tokio, New York, Rom, Brasília, Wien und wahrscheinlich einigen Orten mehr. Produktionsfirmen hat er in Wien, Kalifornien und – mit seiner Frau Yokika – Tokio. Bildende Kunst und Film greifen bei ihm ineinander über. Sein erster großer Filmerfolg war „Milk“ 1997, der auch schon von der Verwestlichung der fernöstlichen Kultur erzählte, wie es auch „Billionaire“ tun wird, das vom Österreichischen Filminstitut geförderte Großprojekt mit italienischen Schauspielern, das er seit vielen Jahren vorbereitet. Drehstart: September.

In Autor Tags WIENER, Interview

IM SCHATTEN DER KRISE – Bericht vom Ungarn-Festival des Burgtheaters

March 20, 2014 Martin Pesl
Die Runde hätte ursprünglich größer ausfallen sollen – auf dem Podium diskutierten Gábór Máté (Direktor des Katona-József-Theaters), Rubina Möhring (Moderatorin), Judit Csáki (Kulturjournalistin) und Bence Mattyasovszky (Verwaltungsdirektor Katona-J…

Die Runde hätte ursprünglich größer ausfallen sollen – auf dem Podium diskutierten Gábór Máté (Direktor des Katona-József-Theaters), Rubina Möhring (Moderatorin), Judit Csáki (Kulturjournalistin) und Bence Mattyasovszky (Verwaltungsdirektor Katona-József-Theater). © Reinhard Werner

Wien, 20. März 2014. Etwas Einzigartiges hat am Burgtheater stattgefunden: ein Festival mit Schwerpunkt auf einem anderen Land. Wie sehr das Ungarn-Festival angesichts anderer Geschehnisse ins Hintertreffen geraten würde, war nicht zu ahnen, als sein Programm Mitte Februar in einer Pressekonferenz des Burgtheaters im Detail angekündigt wurde. Die Reporter kamen in großer Zahl, ihre Fragen blieben auch brav ungarnzentriert, eigneten sich aber nicht dazu, Burgchef und Festivalmitanstoßer Matthias Hartmann als Retter der ungarischen Kultur zu profilieren, sondern gingen eher in Richtung: Warum lädt man gerade diese Gruppen ein, die eh schon fleißig touren und daher vielleicht nicht so stark existenzbedroht sind wie andere? Und: Was kostet das denn jetzt? Kurz zuvor hatte Attila Vidnyánszky, der Intendant des Ungarischen Nationaltheaters, das Gastspiel seiner "Johanna auf dem Scheiterhaufen", die im Programm schon mit leicht naserümpfender Konnotation als "spektakuläre Inszenierung mit großen Chören" annonciert worden war, wegen der finanziellen Unsicherheit am Burgtheater abgesagt.

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In Autor Tags Ungarn, Essay, Theater, Festival, Kulturpolitik

SEIN, LEICHT – Blitz-Bildung zu Milan Kunderas „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins" im WIENER 388

March 13, 2014 Martin Pesl
© Fischer Taschenbuch Verlag

© Fischer Taschenbuch Verlag

Milan Kundera

Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins

Deutsch von Susanna Roh

Der WIENER liest für Sie Klassiker der Weltliteratur. Diesmal: die Bibel der heiteren Melancholie, mitten aus dem Kalten Krieg

“Wenn sich jede Sekunde unseres Lebens unendliche Male wiederholt, sind wir an die Ewigkeit genagelt wie Jesus Christus ans Kreuz. Eine schreckliche Vorstellung. In der Welt der Ewigen Wiederkehr lastet auf jeder Geste die Schwere einer unerträglichen Verantwortung.”

Unerträglich kann es aber auch sein, wenn sich die Schwere verflüchtigt. Wenn wir annehmen, dass sich gar nichts (wie von Nietzsche behauptet) wiederholt und dass alles vergänglich ist. Das heißt ja dann, auf den Punkt gebracht in der Einleitung zu Milan Kunderas weltberühmtem Roman, der vor 30 Jahren erschien, dass „alles von vornherein verziehen ist und folglich auch alles auf zynische Weise erlaubt.“ Und wer damit nicht umgehen kann, leidet unter der „unerträglichen Leichtigkeit des Seins“. Die Fotografin Teresa zum Beispiel. Ihr Mann Tomas ist ein Womanizer, für den Sex und Liebe nichts miteinander zu tun haben; die gemeinsame Freundin Sabina lebt als Künstlerin und Freigeist. Da kommt Teresa schon ins Philosophieren darüber, dass sie den Hund eigentlich viel mehr, oder sagen wir: besser liebt als ihren Mann.

Das hemmungslose Philosophieren, von dem die Handlung umschwemmt wird, ist wohl auch der Grund, warum viele Menschen weltweit die „Leichtigkeit“ wie eine Bibel mit sich herumtragen. Mit weiser Ironie teilt Kundera die Menschen in immer neue Kategorien ein. Zum Beispiel: „Wir alle haben das Bedürfnis, von jemandem gesehen zu werden.“ Die einen von einem Massenpublikum, andere von dem geliebten Menschen, wieder andere von der Society und die vierten vom imaginären Blick abwesender Menschen. Das steht dann so da, unbestreitbar und wahr. Wie der Buchtitel selbst schwebt so jede Seite über der Einteilung in Positives und Negatives, und Kundera gelingt schulterzuckend das Absurdum einer heiteren Melancholie.

Dass die Wirren des Prager Frühlings 1968 den örtlichen Rahmen für die inneren Bewegungen seiner Figuren bilden, gab dem Buch auch noch politisches Feuer. In die 1988 erschienene Verfilmung mit Daniel Day-Lewis, Juliette Binoche und der sexy Schwedin Lena Olin wurde Archivmaterial von den Aufständen eingeflochten.

Milan Kundera war zu diesem Zeitpunkt längst nach Frankreich ausgewandert, wo er heute noch völlig zurückgezogen lebt und hauptsächlich auf Französisch schreibt. Er mochte den Film nicht besonders und erlaubte fortan keine weiteren Verfilmungen seiner Werke mehr. Demnächst wird er 85. Heitererweise: am 1. April.


DIE LEICHTEN UND DIE SCHWEREN

Kunderas Hauptfigurenquartett

Tomas

Eigentlich heißt es ja: Tomáš, aber der deutsche Verlag bevorzugte wohl ein beruhigtes Schriftbild. Der Mann ist als Chirurg ein rechter Workaholic, seziert aber auch mit Vorliebe Eigenheiten verschiedener Frauen beim Sex. Dass er seine Frau Teresa sehr liebt, ist für ihn kein Widerspruch dazu. Dem kommunistischen Regime stößt sein Leserbrief sauer auf, worin er es mit Ödipus vergleicht. Derart der Arbeit beraubt, verzichtet er auch auf seine zweite Leidenschaft und frönt mit Teresa und der krebskranken Hündin Karenin einem kargen Landleben.

Teresa

Juliette Binoche stellt sie im Film noch mauerblümchenhafter dar, als man sie sich vorstellt: Wenn die Fotografin Nacktfotos liefern soll, zieht sich ihr alles zusammen. Dennoch gibt sie sich widerwillig dem Experiment hin, wie ihr Mann Sex und Liebe zu trennen, und reißt in einer Bar einen Ingenieur auf. Am Ende findet sie aber doch eher bei Landwirtschaft und Viehzucht zur Erfüllung. Teresa und Tomas sterben gemeinsam in einem LKW-Unfall.

Sabina

Die Malerin ist Tomas’ beste Freundin und natürlich auch Liebhaberin. Für die „Leichtigkeit des Seins“ ist sie gewissermaßen der Prototyp, will sie doch, dass ihre Asche nach ihrem Tod in die Winde gestreut wird. Ihre künstlerische Freiheit beim Kampf gegen den Kitsch (siehe Zitate) bewahrt sie sich, indem sie am Ende bei einem amerikanischen Mäzen-Ehepaar lebt. Sabinas Darstellung durch die (damals) junge Lena Olin und deren freizügige Fotosessions lassen die dreistündige Buchverfilmung übrigens mit erträglicher Leichtigkeit vorüberziehen.

Franz

Der Schweizer Uniprofessor verlässt seine Frau Marie-Claude für Sabina, was diese recht kitschig findet. Aus lauter Idealismus geben ihm nicht nur Demos für die Tschechoslowakei den Kick, er fährt auch nach Asien, um gegen das kambodschanische Terrorregime zu protestieren. Dabei wird er tödlich verwundet.


KITSCHIGES – VERNEINUNG DER SCHEISSE

Milan Kunderas „unerträgliche Leichtigkeit“ ist unter anderem eine kleine Philosophie des Kitsches.

“Ich mag dich, weil du das pure Gegenteil von Kitsch bist. Im Reich des Kitsches wärst du ein Monstrum. Es gibt kein einziges Beispiel eines amerikanischen oder russischen Films, in dem du nicht als abschreckendes Beispiel auftreten könntest.”
— Seite 23
“Seit der Zeit weiß sie, daß Schönheit eine verratene Welt ist. Man kann nur auf sie stoßen, wenn ihre Verfolger sie aus Versehen irgendwo vergessen haben.”
— Seite 159
“Kitsch ist die absolute Verneinung der Scheiße; im wörtlichen wie im übertragenen Sinne: Kitsch schließt alles aus seinem Blickwinkel aus, was an der menschlichen Existenz im wesentlichen unannehmbar ist.”
— Seite 357
“Der Kitsch ist eine spanische Wand, hinter der sich der Tod verbirgt.”
— Seite 364
“Die Quelle des Kitsches ist das kategorische Einverständnis mit dem Sein.”
— Seite 368
In Autor Tags WIENER, Blitz-Bildung, Literatur

HELD IN TIROL – Porträt von Sam Riley im WIENER 387

February 18, 2014 Martin Pesl
TYP BILLY THE KID. Sam Riley schießt scharf im&nbsp;„finsteren Tal“, ist sonst aber nicht nachtragend.&nbsp;© WIENER

TYP BILLY THE KID. Sam Riley schießt scharf im „finsteren Tal“, ist sonst aber nicht nachtragend. © WIENER

Held in Tirol 

Österreich hat seinen ersten echten Western, der Held: ein (fast) echter Ami. Sam Riley erzählt von Tirol, von Rache und Vergebung

Seine Stimme ist so rauchig wie man sie für einen echten Cowboy mag. Wer mit Sam Riley telefoniert, um ihn zu seiner Rolle in Österreichs erstem echten Western zu befragen, braucht nicht lange, um sich den Hut, die Stiefel und den Colt dazu vorzustellen. Wer ihn sieht, mag von dem glattrasierten Babyface abgelenkt sein, durch das er deutlich jünger aussieht als seine 34. Aber na gut, dann halt Typ Billy the Kid. Und dann auch noch dieser archaisch-amerikanische Name: Sam. Sam Riley. Eine geradezu verblüffend perfekte Besetzung, wenn man bedenkt, dass Regisseur Andreas Prochaska bei der Suche nach einem Hauptdarsteller sich einfach wild durchs Netz googelte und bei einem Foto hängenblieb. Von Sam Riley hatte er weder dessen Durchbruch als Ian Curtis im Schwarzweißfilm „Control“ 2007 gesehen noch mitbekommen, wie er als Jack Kerouac 2012 „On the Road“ war. Dass Riley etwas Deutsch kann, weil er mit seiner Frau Alexandra Maria Lara in Berlin lebt, wusste er auch nicht.

Crashkurs im Westernheldentum

„Es war Zufall, wie vieles in der Branche“, berichtet Riley. „Ich bekam ein E-Mail von Tom Tykwer, im Anhang ein Drehbuch zu einem Western in den österreichischen Alpen. Ich hatte aber keine Zeit, und eine Woche später schrieb er mir wieder: ,Ich vermute, du hast es nicht gelesen, sonst hättest du sofort geantwortet.‘“ Riley wurde vom schlechten Gewissen gepackt und las das Buch von vorne bis hinten durch. „Das ist sehr selten, normalerweise bildet man sich nach dem ersten Viertel eine Meinung. Ich fand das Buch so spannend, dass ich mich dann sofort bei Tom gemeldet habe.“ Tykwer stellte dann den Kontakt zu Andreas Prochaska her.

„Andreas und ich verstanden uns sofort. Wir haben den gleichen Filmgeschmack und erinnerten uns an die gleichen Westernhelden, wenn wir über Figurengestaltung sprachen.“ Zwei Schönheitsfehler gab es im perfekten Setting. Der erste: Sam Riley konnte nicht reiten. „Alle Schauspieler lügen immer in ihren Lebensläufen, sie könnten fechten, reiten und Auto fahren. Nun, ich kann Auto fahren, aber ich bin noch nie geritten und bekam einen ein Crashkurs. Ich hatte zwei Tage mit einem Pferdeexperten in Österreich, dann wurde mein Pferd krank und ich musste am Set selbst mit einem neuen Hengst trainieren.“ Riley lacht: „Also mir hat es Spaß gemacht, mehr als dem Pferd! Es hatte keine Filmerfahrung und wurde nervös, sobald die Kamera lief. Und du willst nicht auf einem gereizten Pferd durch die Eiseskälte reiten! Wir verständigten uns mit geheimen Handzeichen, sodass das Pferd nicht mitbekam, wann wir drehten.“

Makel Nummer zwei: Der Paradeamerikaner kommt eigentlich aus Leeds, Nordengland. Ist das nicht ein bisschen wie wenn wir Österreicher die Augen verdrehen, weil wir als deutsche Nazisoldaten in Hollywoodfilmen besetzt werden? „Richtig problematisch war es, als ich die Jack-Kerouac-Figur spielte. Da versuchen die fünfzig Jahre lang, eine Besetzung zu finden und dann kommt ein Scheißengländer daher.“ Selber schuld, wollten die Amerikaner die Verfilmung eines ihrer kultigsten Romane doch nicht selbst finanzieren. „Die Amis wollten nicht zuschauen, wie ein paar Teenager Auto fahren.“ Daher war „On the Road“ eine Koproduktion mit Kanada, Großbritannien, Frankreich und Brasilien.

Das gilt für die meisten Filme Sam Rileys derzeit. Von Berlin aus tingelt er durch europäische Produktionen. „Budgets zwischen 20 und 60 Millionen sind schwer innerhalb eines Landes aufzustellen“, sagt er. „So läuft das heute eben, und für Schauspieler, die eher hinter einer interessanten Rolle als hinterm Geld her sind, ist es ideal.“ Auch „Das finstere Tal“ ist eine Koproduktion – zwischen Österreich und Deutschland, gedreht wurde hauptsächlich im Südtiroler Schnalstal.

Die Waffen sprechen

Seine Verbindung zu Österreich? „Dass ich mir das EM-Finale 2008 in Wien angeschaut habe. Sonst: null Verbindung.“ Und da war er dann plötzlich, erstmals in den Bergen, in Eis und Schnee und im Pferdesattel, umgeben von Österreichern und tirolernden Deutschen (auch etwa Hans-Michael Rehberg und Paula Beer mussten sich das Idiom erst aneignen) – ein Außenseiter wie seine Rolle, der mysteriöse Greider, der eines Tages Ende des 19. Jahrhunderts dahergeritten kommt und im vom Brenner-Bauern und seinen verdächtig vielen Söhnen regierten Tal Unterkunft sucht. Von seinen eher nur national bekannten Kollegen hatte Riley noch nie gehört, durfte bei Gasthausbesuchen amüsiert feststellen, welch eine Legende etwa die „überlebensgroße Figur“ Tobias Moretti ist, besonders in Tirol und Umgebung.

“Akzeptanz ist besser als Rache. Aber Rache zu spielen macht mehr Spaß.”
— Sam Riley

Das Tirolerische muss eine höchst eigentümliche Erfahrung für jemanden sein, dessen Deutsch nach eigenen Angaben „auf Anfängerniveau herumdümpelt“. „Deutsch ist kompliziert, aber charmant. Das richtig zu beherrschen, ...“ – und wie um sich selbst lügen zu strafen, folgt nun mitten im englisch geführten Interview ein perfekt intonierter deutscher Satz: „... das dauert a bisserl“. Rileys Glück: Als echter Westernheld, als klassischer Racheengel lässt sein Greider sowieso lieber die Waffen sprechen als die Worte, und allzu viel geredet wird den gesamten Film hindurch nicht. Es regieren die Bilder: ein Grau-in-Grau, das teils vergessen lässt, dass wir einen Farbfilm sehen, erstarrte, verfurchte Gesichter, in denen ein leichtes Zucken schon eine ganze Welt erzählt. „Solche Gesichter siehst du maximal irgendwo am Balkan, aber nicht in Wien, Berlin oder Leeds. Sie machen den Film auf eigentümliche Art authentisch.“ Und das, obwohl er einem der künstlichsten, realitätsfernsten Genres überhaupt angehört.

Aber mittlerweile ist ja Standard, dass sinistere Taten nirgends so realitätsnah anklingen wie in Österreich. Wer den Roman von Thomas Willmann gelesen hat, weiß um die üble Untat, die es im „finsteren Tal“ zu rächen gilt – wer es nicht weiß, dem sei die Spannung nicht genommen. Zwanzig Jahre ist „es“ her, und die hörigen Untertanen der Brenner-Familie haben es geradezu verziehen. Nicht Greider, oh nein, der nicht. Und mehr sei jetzt wirklich nicht verraten. Wie nachtragend kann man sein? „Ich bin eher der vergebende Typ“, gesteht Sam Riley. „Und was der Film lehrt, ist ja auch, dass Rache zwar süß ist, aber nicht immer befriedigend. Am Ende ist Akzeptanz die bessere Antwort. Aber es macht halt mehr Spaß, Rache zu spielen. Und dabei zuzuschauen.“


FAKTISCHES – WER SAM RILEY IST UND WIE ER INS FINSTERE TAL KAM

SAM RILEY. Ein mysteriöser Fremder war Riley schon in seiner ersten großen Rolle als Joy-Division-Sänger Ian Curtis, nicht nur, weil ihn damals noch keiner kannte. Es folgten Arbeiten in England und Amerika („Brighton Rock“, „On the Road“, „Franklyn“) sowie Gastauftritte in Deutschland an der Seite seiner Frau Alexandra Maria Lara, die er am Set zu „Control“ kennen gelernt hatte. Karrieretechnisch ist er weder unter- noch überfordert: „Oft beginnt ein Jahr und ich habe keine Ahnung, was sich noch ergibt.“ Anfang 2014 ergab sich erst einmal etwas Privates: Riley und Lara wurden erstmals Eltern.

DAS FINSTERE TAL. Vom österreichischen Produzenten Helmut Grasser initiiert folgt die Verfilmung drei Jahre auf das Romandebüt des Kulturjournalisten Thomas Willmann. Willmann ist ausgewiesener Westernfan, Regisseur Andreas Prochaska hat Gespür für Genres, und so ist die Geschichte archaisch und brutal wie bei Peckinpah oder Leone. Nur dass in Österreich alles nicht ganz so einfach ist: „Die Freiheit“, heißt es, „ist ein Geschenk, das sich nicht jeder gern machen lässt.“ Neben Sam Riley und Tobias Moretti, der blutjunge Paula Beer, „Atmen“-Star Thomas Schubert und Erwin Steinhauer sind jede Menge echte Tiroler Schauspieler zu sehen. Der Film lief 2014 auf der Berlinale und verschaffte Prochaska und Moretti je einen Bayerischen Filmpreis.

In Autor Tags Film, Porträt, WIENER
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