ACHSE ROM–L.A.
Finden Sie den Nabel der Welt! Es ist Rom, sagt Edgar Honetschläger. Warum, erklärt er mit seinem irren neuen Milliardenfilmprojekt.
Inmitten von 500 m2, die über und über mit großformatigen Malereien ausgelegt sind, sitzt ein Mann mit wildem grauem Haar in einem Lehnstuhl und hört beschwingte Musik. „Hallo“, sagt er mit sanftmütiger Stimme. „Kaffee?“ Den bereitet einem Edgar Honetschläger dann eher unbeholfen zu, während der Wasserhahn läuft, „weil das den Rohren hier draußen guttut“. Draußen fürwahr, im 23. Bezirk, liegt sein Atelier. Hier präsentiert sich ganz der wilde Künstler, sagt aber: „Ich bin Ordnung gewohnt.“ Darum war ihm das Jahr, als er einen Thriller in Brasília drehen wollte, ein Albtraum. „Die Italiener kommen immer zu spät, aber die Brasilianer kommen gar nicht! Und sie halten dich für einen Kolonialisten.“ Der Produzent büxte mit dem Vorschuss des ORF aus; nur dank seiner Freundschaft mit dem damaligen Programmdirektor kam Honetschläger glimpflich davon. Er schrieb den Thriller zum Märchen um und drehte mit weniger Budget in Japan.
Der Kosmopolit
Tokio, New York, Kalifornien – und zuletzt auch Italien: Rom, Florenz, Sizilien, Umbrien. Wenn man sich mit Edgar Honetschläger unterhält, poppt alle paar Minuten ein neues „und dann war ich in“ oder „habe dort gelebt“ auf. Eigentlich ist er aus Linz, aber sein Dialekt ist das einzige, was ihn irgendwo verortet. Nur indem er nirgendwo und überall dazugehört, hielt er es ein Jahrzehnt in Japan aus. „Die Japaner sind noch viel ausländerfeindlicher als wir das gewohnt sind. Dort kommst du nur klar, wenn du gar nicht erst versuchst, dich zugehörig zu fühlen. Da das bei mir immer schon so war, hat es gut gepasst.“
Auch beruflich hat Honetschläger keine Szene, in der er sich häuslich einrichtet. „Die Kunstleute stecken mich in die Filmecke, die Filmleute in die Kunstecke.“ Wenn er beginnt, einen Film zu machen, ist längst nicht entschieden, ob der ausschließlich in Museen und auf Kunstfilmfestivals laufen wird oder im Gartenbaukino und im normalen Vertrieb, wie jüngst „Aun“ oder „Omsch“, die Doku über seine 102-jährige Nachbarin. Auf der documenta X 2001 in Kassel hatte er seinen Durchbruch in der bildenden Kunst. In Italien wird er aber gerne mit Filmemachern wie Antonioni verglichen, die englische Wikipedia führt ihn als Modeschöpfer eines Sortiments für Hühner an. Ja, Hühner.
Seine documenta-Arbeit verwies auf einen Japaner, und er kämpfte vergeblich darum, keine Nationenbezeichnung anzuführen, das Rätsel ungelöst zu lassen. Einerseits überschneiden sich seine Kreise durchaus mit der österreichischen Politik und er wird schon mal zum Kanzlerfest eingeladen. Andererseits ist ihm – ganz unösterreichisch – Besitzstreben so fremd wie Kategorisierung. „Ich will nicht eingesperrt sein und immer an den gleichen Ort fahren müssen. Sich einzubilden: das ist jetzt meine Scholle, und im schlimmsten Fall vererbe ich sie, heißt, die Endlichkeit nicht zu akzeptieren. Ich setze als Künstler eh ständig was in die Welt; das ist mehr als genug.“ Dementsprechend hat er das gigantische Atelier bei der Besitzerin auch nur vorübergehend eingetauscht – gegen Kunst.
Vor dreieinhalb Jahren kam er hierher, um das vielleicht größte Projekt seines Lebens vorzubereiten. „Billionaire“ wird „das erste Roadmovie, das im Studio gedreht wird“, und bedarf daher einer Unzahl an gemalten Kulissen, die hinter den Darstellern und ihrer 50er-Jahre-Karre vorbeigekurbelt werden. Und die hat die selbsternannte „One-Man-Show“ Honetschläger natürlich alle selbst gemalt. „Ich dachte damals, ich wäre in drei Monaten fertig“, lacht er. „Dann musste ich die Besitzerin beknien, mir den Raum noch weiter zur Verfügung zu stellen.“
“Als gelernter Österreicher kommt man ohne Italien schwer aus.”
Der Bildermacher
Jetzt sind die Bilder fertig und werden nach und nach auf eine eigens gebaute Maschine gespannt, um das Roadmovie in Gang zu setzen. Beginnen wird es auf einem Hügel bei Rom, von wo aus drei ulkige vatikanische Kardinäle („the Marx Brothers of Faith, wie ich sie nenne“) die Hauptfiguren (zu denen auch der Teufel gehört) auf eine kuriose Ost-West-Fahrt durch die USA schicken. Enden werden sie in Los Angeles, denn Hollywood, erklärt Honetschläger, bildet das natürliche Pendant zu Rom.
Wie das? „Der Westen dominiert nach wie vor die Welt, weil wir die Macht über die Bilder in Händen halten. Rom und L.A. bilden dabei eine Achse, denn der Vatikan war Hunderte von Jahren als Auftraggeber für den Großteil der Bilderproduktion verantwortlich, und in den letzten hundert Jahren hat das Hollywood übernommen. Wenn du in einem nicht christlichen Land lebst, andere Vorstellungen von Welt, Leben und Liebe hast, bohrt sich so ein Hollywood-Film leicht in dich hinein. Der ist so verführerisch und reizvoll, dass du dir das auch wünschst. Daher hat die Macht, wer die Bilder macht.“
Dass er besagtem nicht christlichen Kulturkreis, Japan, 2011 den Rücken kehrte, hing auch mit dem Reaktorunfall von Fukushima zusammen, aber nicht nur: „Nachdem ich in Tokio alles an Geschichte und Literatur eingesogen hatte, dachte ich mir: Was weiß ich eigentlich über meine eigene Kultur als Europäer? Und da musst du in Rom anfangen.“ Prompt zog er hin und machte die Filmtrilogie „Colors“, gefolgt von einem Film über Sizilien, das „wie eine Torte im Meer liegt“, daher der Titel: „Il mare e la torta“. In dem Spielfilm stieß Friedrich II. auf eine Reihe lebender und real mitwirkender Inpselersönlichkeiten, vom Bürgermeister Orlando bis zum Cellisten Giovanni Sollima.
Die letzten drei Sommer hat Honetschläger in Umbrien verbracht, wo er im Haus der bedeutendsten Caravaggio-Restauratorin des Landes an seinen Filmen schnitt. Auch sie bezahlte er mit Kunst. „Als gelernter Österreicher kommt man ohne Italien schwer aus. Es ist uns doch sehr nah, nicht nur geografisch“, so die Conclusio. Und das hat eben in erster Linie mit der christlichen Kirche zu tun, die ihn grenzenlos fasziniert. „Du kannst noch so ausgetreten sein ‒ wie ich ‒, du kannst die Religion noch so sehr hassen, aber es ist halt nicht möglich, an einem Haus in Wien vorbeizugehen, ohne dass diese christliche Welt mit ihrer Symbolik und allem, was sie repräsentiert, in dich hineinkriecht.“ Die 1,2 Milliarden Seelen weltweit, die der Papst von Rom aus verwaltet, machen ihn zum Milliardär, zum „Billionaire“ eben.
Der Pleaser
Honetschlägers atheistische Freunde befürchten schon, sie könnten ihn nachher nicht mehr mögen. Deshalb ist es ihm auch wichtig zu betonen, dass er eben keinen religiösen Film macht. „Die Inhalte sind egal, es ist auch egal, wer Papst ist, es geht um den Machtfaktor, den die Institution darstellt.“ Perfekt knarzend mit dem rollenden Ami-R fügt er dann noch hinzu: „I’m a pleaser, I like to please people. Die tiefsinnige Botschaft muss nicht jeder mitkriegen. Der Film soll vor allem unterhalten, ein gutes Gefühl vermitteln.“ Und spätestens jetzt ist klar, dass Edgar Honetschläger nicht das ist, was man einen österreichischen Filmemacher nennt. Sondern viel mehr.
BIOGRAFISCHES
IN LINZ BEGANN’S. Aber seine Eltern schickten ihn viel nach England. Später lebte er in Tokio, New York, Rom, Brasília, Wien und wahrscheinlich einigen Orten mehr. Produktionsfirmen hat er in Wien, Kalifornien und – mit seiner Frau Yokika – Tokio. Bildende Kunst und Film greifen bei ihm ineinander über. Sein erster großer Filmerfolg war „Milk“ 1997, der auch schon von der Verwestlichung der fernöstlichen Kultur erzählte, wie es auch „Billionaire“ tun wird, das vom Österreichischen Filminstitut geförderte Großprojekt mit italienischen Schauspielern, das er seit vielen Jahren vorbereitet. Drehstart: September.