Erschienen im „Standard“ vom 31. Juli 2018
Ich würde Ihnen gerne einige wesentliche Faktoren der Zerschlagung der liberalen Demokratie in Ungarn darlegen, dem Hauptproblem mit der Politik des Orbán-Regimes. Außerdem möchte ich erläutern, warum ich glaube, dass nur eine linkspopulistische Bewegung die Demokratie in Ungarn – und in der Europäischen Union – retten kann.
1) Das Scheitern der Wende in Osteuropa – die Bankrotterklärung der liberalen Demokratie
Die großen Verheißungen beim Übergang von der Zentralverwaltungs- zur Marktwirtschaft in Osteuropa waren die Garantie grundlegender Bürger- und Menschenrechte und der persönliche ökonomische Wohlstand. Versprochen wurde im Wesentlichen, dass der Aufbau der zentralen rechtsstaatlichen Einrichtungen und die Implementierung des Kapitalismus Stabilität und Wohlstand bringen würden. Eingetreten ist ziemlich genau das Gegenteil: Unmittelbar nach Wende verloren eine Million Menschen ihre Arbeitsplätze, die zuvor staatlich betriebenen Firmen und Unternehmen wurden privatisiert und landeten in den Händen einiger weniger Oligarchen. Das Höchstgericht lehnte es ab, die politischen Spitzen der Diktatur zur Verantwortung zu ziehen, und verabsäumte es, die Rechte der Minderheiten zu verteidigen. Schon lange vor 2010 herrschte eine Segregation an öffentlichen Schulen zwischen weißen und Roma-Schülern. Das Arbeitsrecht bot den arbeitenden Massen keinen Schutz mehr: Sie wurden ausgebeutet, mussten mehr als acht Stunden täglich arbeiten und bezogen nicht einmal den Mindestlohn.
Man kann zu Recht sagen, dass Ungarn in den Neunzigern aus der Sicht unserer Partner im Westen ein Musterschüler war und unsere Elite recht brav das Gerüst einer liberalen Demokratie aufgebaut hat – nur leider eben, ohne die Bevölkerung mit einzubeziehen. Die gelernte Lektion ist hart und grausam: Kein Gericht kann die Unvollkommenheiten der Demokratie reparieren. Meiner Meinung nach wäre eine solche Reparatur nur durch die Beteiligung und Ermächtigung der Bevölkerung möglich. Nachdem aber diese Institutionen den Bürgern nicht zugänglich sind, nimmt es kaum wunder, dass die Masse der Ungarn diese Errungenschaften nicht verteidigt, seit Orbán 2010 mit seiner ersten Zweidrittelmehrheit – der Verfassungsmehrheit – ins Amt gewählt wurde.
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